Das Janusprojekt
Eine Pistole war in Deutschland so schwer zu kriegen wie eine Ananas.
Ich kannte einen Mann namens Stuber – Faxon Stuber –, der ein Exporttaxi fuhr und so ziemlich alles beschaffen konnte, hauptsächlich von amerikanischen GIs. Die mit den Initialen E. T. gekennzeichneten Exporttaxis waren ausschließlich Fahrgästen vorbehalten, die im Besitz von Devisenzertifikaten, auch Besatzungsdollars genannt, waren. Ich wusste nicht, wie Kirstens Vater da drangekommen war, hatte aber ein paar dieser Besatzungsdollars im Handschuhfach des Hansa gefunden. Wahrscheinlich hatte er sie gehortet, um auf dem Schwarzmarkt Benzin zu kaufen. Ich nahm ein paar davon, um Stuber eine Pistole abzukaufen.
Stuber war ein kleiner Mann von Anfang zwanzig, mit einem Bärtchen wie eine Ameisenstraße und einer schwarzen SS-Uniformmütze, von der alle Abzeichen und Mützenkordeln abgetrennt worden waren. Keiner der Amerikaner, die in Stubers E. T. stiegen, hätte je erkannt, was das für eine Mütze war. Aber ich erkannte sie sofort. Um ein Haar hätte ich auch so eine schwarze Mütze tragen müssen. Aber dann war es nur die feldgraue Version gewesen, als Teil der Feldanzugs M37, der 1938 eingeführt wurde. Sicher hatte Stuber die Mütze gefunden oder von jemandem geschenkt bekommen. Er war zu jung, um selbst bei der SS gewesen zu sein. Er wirkte sogar eigentlich noch zu jung, um ein Taxi zu fahren. In seiner kleinen weißen Hand war das Ding, das er mir mitgebracht hatte, durchaus als Schusswaffe zu erkennen, aber in meiner Pranke sah sie eher aus wie eine Wasserpistole.
«Ich sagte Feuerwaffe, nicht Spritzpistole.»
«Wovon reden Sie?», sagte er. «Das ist eine Beretta, Kaliber .25. Nette kleine Pistole. Im Magazin sind acht Schuss, und ich gebe Ihnen noch ein Schächtelchen Pillen dazu. Sie hat einen Kipplauf, da kann man bequem von Hand eine reinstecken und wieder rausnehmen. Ist zwölf Zentimeter lang, und wiegt nur dreihundert Gramm.»
«Da habe ich ja schon größere Lammkoteletts gesehen.»
«Nicht auf Ihre Lebensmittelkarte, Gunther», sagte Stuber. Er grinste, als ob er jeden Abend Steak äße. Was er, in Anbetracht seiner Fahrgäste, wahrscheinlich auch tat. «Das ist genau die Pistole, die Sie hier in der Stadt brauchen. Sie planen ja wohl keinen Trip in den Wilden Westen, oder?»
«Ich habe lieber eine Waffe, die die Leute sehen», sagte ich. «Eine, die sie nachdenklich macht. Mit diesem Spielzeugpistölchen nimmt mich doch keiner ernst, es sei denn, ich lege ihn erst um. Widerspricht irgendwie dem Zweck.»
«Diese kleine Pistole hat mehr Durchschlagskraft, als Sie glauben», insistierte er. «Hören Sie, wenn Sie was Größeres wollen, kann ich’s besorgen. Aber das dauert seine Zeit. Und ich hatte den Eindruck, Sie hätten’s eilig.»
Wir fuhren noch ein paar Minuten herum, während ich darüber nachdachte. In einem Punkt hatte er recht. Ich hatte es eilig. Schließlich sagte ich seufzend: «Na gut, ich nehme sie.»
«Wenn Sie mich fragen, ist das die perfekte Stadtwaffe», sagte er. «Praktisch. Unkompliziert. Diskret.» Es klang, als priese er mir eine Mitgliedschaft im Herrenklub an und keine Nuttenpistole. Nichts anderes war es nämlich. Das sagte mir das zugehörige, mit Strass besetzte Holster. Wahrscheinlich hatte irgendein GI das Ding seinem persönlichen Amiflittchen abgenommen. Ich konnte nur hoffen, dass es keine Waffe war, die die Ballistiker im Präsidium auf ihrer Liste hatten. Ich warf Stuber das Holster hin und stieg in der Schellingstraße aus. Eine Gratisfahrt zu meiner nächsten Anlaufstelle war wohl das mindeste, was ich verlangen konnte, nachdem er mir das Strumpfbandpistölchen eines Party-Girls angedreht hatte.
Ich betrat das Gebäude der Neuen Zeitung und veranlasste die adlernasige Rothaarige an der Pforte, Friedrich Korsch herunterzurufen. Während ich wartete, überflog ich die erste Seite der Zeitung. Da war ein Artikel über Johann Neuhäusler, den Münchner Weihbischof, der verschiedene Gruppen dabei unterstützte, die Rotjacken von Landsberg zu befreien. Laut dem Bischof standen die Amerikaner «den Nazis an Sadismus in nichts nach», und er sprach von einem – nicht namentlich genannten – amerikanischen Gefängnisaufseher, der von Zuständen in Landsberg berichte, die «jeder Beschreibung spotten». Ich konnte mir denken, wer dieser amerikanische Soldat war, und es machte mich rasend, dass ausgerechnet ein Bischof die Lügen und Halbwahrheiten des Gefreiten John Ivanov
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