Das Janusprojekt
jemandem helfen wollen, der bei der SS war. Sie?» Er lachte schon bei dem bloßen Gedanken.
«Nein, vorerst werde ich mich an die Alliierten halten.»
«Sind Sie ganz sicher, dass Lwow in Polen liegt? Ich glaube, es war mal polnisch, gehört jetzt aber zur Ukraine. Nur, um es Ihnen noch ein bisschen komplizierter zu machen.»
«Was ist mit der Zeitung?», fragte ich. «Die muss doch irgendwelche Verbindungen zu den Amis haben. Könnten Sie der Sache nicht mal nachgehen?»
«Vermutlich schon», sagte Korsch. «Klar, ich schaue mal, was sich machen lässt.»
Ich schrieb den Namen Friedrich Warzok auf einen Zettel und darunter den Namen des Lagers, Lemberg-Janowska. Korsch nahm den Zettel, faltete ihn zusammen und steckte ihn ein.
«Was mag wohl aus Emil Becker geworden sein?», fragte er. «Erinnern Sie sich noch an den?»
«Die Amis haben ihn gehängt, in Wien, vor ungefähr zwei Jahren.»
«Kriegsverbrechen?»
«Nein. Aber wenn sie danach gesucht hätten, hätten sie mit Sicherheit Beweise für das eine oder andere gefunden.»
Korsch schüttelte den Kopf. «Wir haben alle irgendwelchen Dreck am Stecken, wenn man genau genug hinguckt.»
Ich zuckte die Achseln. Ich hatte nicht gefragt, was Korsch während des Krieges gemacht hatte. Ich wusste nur, dass er bei Kriegsende Kriminalinspektor im RSHA gewesen war – also hatte er irgendwas mit der Gestapo zu tun gehabt. Warum sollte ich uns dieses nette Mittagessen verderben, indem ich jetzt danach fragte? Er zeigte umgekehrt auch keinerlei Neugier.
«Was war es dann?», fragte er. «Wofür haben sie ihn gehängt?»
«Wegen Mordes an einem amerikanischen Offizier», sagte ich. «Ich habe gehört, er war in irgendwelche größeren Schwarzmarktgeschäfte verwickelt.»
«Das glaube ich allemal», sagte er. «Das mit dem Schwarzmarkt.» Korsch erhob sein Weinglas. «Auf ihn, wie dem auch sei.»
«Ja», sagte ich und nahm mein Glas. «Auf Emil. Den armen Kerl.» Ich leerte das Glas. «Nur mal aus Neugier, wie kommt es, dass ein Bulle wie Sie Journalist wird?»
«Ich bin gerade noch vor der Blockade aus Berlin rausgekommen», sagte er. «Hatte von einem Russki, der mir einen Gefallen schuldete, einen Tipp gekriegt. So landete ich hier. Und bekam eine Stelle als Kriminalberichterstatter angeboten. Die Arbeitszeiten sind ungefähr gleich, aber die Bezahlung ist wesentlich besser. Ich habe Englisch gelernt. Ich habe eine Frau und einen Sohn. Und eine hübsche Wohnung in Nymphenburg.» Er schüttelte den Kopf. «Berlin ist erledigt. Ist nur eine Frage der Zeit, dass die Russen die Stadt übernehmen. Und wenn ich das sagen darf, dieses ganze Kriegsverbrecherzeug, das interessiert doch bald kein Schwein mehr. Nichts davon. Sobald das Schlussstrichgesetz kommt. Das wollen doch jetzt alle, oder?»
Ich nickte. Wie kam ich dazu, in Frage zu stellen, was alle wollten.
12
Ich fuhr in das westlich von München gelegene, mittelalterliche Städtchen Landsberg. Mit seinem Rathaus, dem imposanten Bayertor und der berühmten Festung war es wirklich sehenswert, zumal es im Krieg weitgehend unbeschädigt geblieben war. Da die alliierten Bomber es großräumig umflogen hatten, um nicht den Tod tausender Fremdarbeiter und Juden zu riskieren, die in nicht weniger als einunddreißig Lagern in der Umgebung festgehalten wurden. Nach dem Krieg hatten die Amerikaner ebendiese Lager für die Unterbringung sogenannter Displaced Persons benutzt. Das größte beherbergte noch immer über tausend jüdische DPs. Obwohl Landsberg wesentlich kleiner war als München oder Nürnberg, zählte es für die Nazis zu den drei wichtigsten Städten Deutschlands. Vor dem Krieg war es ein Wallfahrtsort für die deutsche Jugend gewesen. Nicht wegen der Baudenkmäler oder aus religiösen Gründen, sondern deshalb, weil die Leute die Zelle im Landsberger Gefängnis sehen wollten, wo Adolf Hitler, als er dort nach dem gescheiterten Bürgerbräuputsch von 1923 ein Jahr inhaftiert gewesen war, Mein Kampf geschrieben hatte. Aller Überlieferung zufolge hatte es Hitler in Landsberg ganz komfortabel gehabt. Das 1910 innerhalb der alten Festungsmauern erbaute Gefängnis war eins der modernsten in Deutschland gewesen, und man hatte Hitler offenbar mehr wie einen Ehrengast, denn wie einen gefährlichen Revolutionär behandelt, ihm alle Gelegenheit gegeben, Freunde zu sehen und sein Buch zu schreiben. Ohne diese Haftzeit in Landsberg hätte die Welt vielleicht nie etwas von Adolf Hitler gehört.
1946 hatten die
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