Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
unverkennbar, was es war: ein Gefängnis. Drinnen war es genauso. Alle Gefängnisse rochen gleich. Nach billigem Essen, Zigaretten, Schweiß, Urin, Langeweile und Verzweiflung. Ein weiterer Militärpolizist mit versteinerter Miene führte mich in einen Raum mit Blick auf das Lechtal. Die Landschaft war grün und üppig und erfüllt vom letzten Rest Spätsommer. Es war ein schrecklicher Tag, um im Gefängnis zu sitzen, falls es dafür überhaupt so etwas wie gute Tage gab. Ich setzte mich auf einen billigen Stuhl an einem billigen Tisch und zog einen billigen Aschenbecher heran. Dann ging der Amerikaner hinaus und schloss die Tür hinter sich ab, was mir ein nettes, warmes Gefühl in der Magengegend bescherte. Und ich stellte mir vor, wie es sein musste, hier im Kriegsverbrechergefängnis 1 einer der Männer aus der Malmedy-Einheit zu sein.
    Malmedy war der Ort in den belgischen Ardennen, wo im Winter 1944 im Zuge der deutschen Ardennenoffensive vierundachtzig Gefangene von einer Kampfgruppe der Waffen-SS abgeschlachtet worden waren. Amerikanische Gefangene. Die gesamte SS-Kampfgruppe – jedenfalls vierundsiebzig Mann davon – saßen jetzt hier in Landsberg langjährige Haftstrafen ab. Und viele dieser Männer hatten durchaus mein Mitgefühl. Es ist nicht immer möglich, mitten in einer Schlacht eine große Anzahl von Männern gefangen zu nehmen. Und wenn man einen laufen lässt, kann es immer sein, dass man später wieder gegen ihn kämpfen muss. Der Krieg ist kein sportlicher Wettkampf unter Gentlemen, bei dem man sich auf ein Ehrenwort verlässt. Nicht der Krieg, in dem wir gekämpft hatten. Und in Anbetracht der Tatsache, dass diese SS-Leute in einer der brutalsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs hatten kämpfen müssen, schien es doch etwas absurd, ihnen Kriegsverbrechen zur Last zu legen. So weit hatte Kaufmann schon recht. Aber ich war mir nicht sicher, ob mein Mitgefühl sich auch auf Fritz Gebauer erstreckte. Vor seinem Fronteinsatz bei der Waffen-SS war Obersturmbannführer Gebauer Kommandant des Lagers Lemberg-Janowska gewesen. Irgendwann musste er sich freiwillig an die Westfront gemeldet haben, was zweifellos einen gewissen Mut voraussetzte – und vielleicht auch eine gewisse Abneigung gegen seine Tätigkeit im Arbeitslager.
    Der Schlüssel drehte sich im Schloss, und die Metalltür ging auf. Ich drehte mich um und sah einen verblüffend gutaussehenden Mann von Ende dreißig hereinkommen. Groß und breitschultrig, hatte Fritz Gebauer etwas vage Aristokratisches, und irgendwie schaffte er es, dass die rote Häftlingsjacke an ihm fast wie ein Smoking aussah. Er deutete eine Verbeugung an, ehe er sich mir gegenübersetzte.
    «Danke, dass Sie sich zu diesem Gespräch bereit erklärt haben», sagte ich und legte ein Päckchen Lucky Strikes und Streichhölzer zwischen uns auf den Tisch. «Zigarette?»
    Gebauer drehte sich zu dem Soldaten um, der bei uns geblieben war. «Ist es gestattet?», fragte er auf Englisch.
    Der Soldat nickte. Gebauer bediente sich dankbar aus dem Päckchen und rauchte.
    «Wo kommen Sie her?», fragte er.
    «Ich wohne in München», sagte ich. «Aber geboren bin ich in Berlin. Und dort habe ich auch bis vor ein paar Jahren gelebt.»
    «Ich auch», sagte er. «Ich habe darum ersucht, in ein Berliner Gefängnis verlegt zu werden, damit mich meine Frau besuchen kann, aber das scheint nicht möglich zu sein.» Er zuckte die Achseln. «Was kümmert es sie? Die Amis. Für die sind wir doch Abschaum. Gar keine Soldaten. Mörder, das sind wir. Wobei man um der Gerechtigkeit willen sagen muss, dass es unter uns wirklich ein paar Mörder gibt. Die Judenvernichter. Ich hatte mit solchen Dingen nie viel am Hut. Ich war an der Westfront, da hatte die Judenvernichtung wenig Bedeutung.»
    «Malmedy, richtig?», sagte ich und zündete mir auch eine an. «In den Ardennen.»
    «Stimmt», sagte er. «Es war ein verzweifelter Kampf. Wir standen wirklich mit dem Rücken zur Wand. Wir konnten uns mit Mühe und Not um uns selbst kümmern, aber nicht auch noch um hundert Amis, die sich ergeben hatten.» Er sog den Rauch tief in die Lunge und blickte zur Decke. Jemand hatte sich viel Mühe gegeben, die Farbe von Wänden und Fußboden der grünen Decke anzugleichen. «Aber die Amis interessiert es natürlich nicht, dass wir gar nicht die Voraussetzungen hatten, um Gefangene zu machen. Und niemand zieht auch nur eine Sekunde in Betracht, dass die Männer, die sich ergaben, Feiglinge waren. Wir hätten uns

Weitere Kostenlose Bücher