Das Janusprojekt
Straße näher anzusehen. Am besten, ich folgte ihr sogar.
Das Hotel lag nur ein paar Straßen weiter südlich, in der Maximilianstraße, ganz in der Nähe des Residenztheaters, das noch im Wiederaufbau war. Von außen war es groß, aber sonst nicht weiter bemerkenswert, was wiederum auffallend war, weil es ’44 nach einem Fliegerangriff fast völlig abgebrannt war. Das musste man den Münchner Bauarbeitern lassen: Mit ausreichend Material und Überstunden hätten sie wahrscheinlich sogar Troja wiederaufgebaut.
Ich ging durchs Portal, bereit, dem Haus meine reichhaltige Hotelierserfahrung zugute kommen zu lassen. Drinnen war alles aus Marmor und Holz, was sehr gut zu den Gesichtern und Mienen der dort tätigen Pinguine passte. Ein Amerikaner in Uniform beschwerte sich gerade lautstark beim Hotel-Concierge, der meinen Blick suchte, in der vergeblichen Hoffnung, ich würde dem Ami eins aufs Ohr geben, damit er sein Organ ein wenig drosselte. Aber bei diesen Zimmerpreisen, sagte ich mir, würde der gute Mann es wohl einfach hinnehmen müssen. Ein Bestattungsunternehmertyp im Smoking setzte sich an meine Seite wie ein Lotsenfisch, verbeugte sich aus der Hüfte und fragte, ob er mir irgendwie behilflich sein könne. Das verstand man in großen Hotels unter Service, aber auf mich wirkte es einfach nur aufdringlich. Er schien sich zu fragen, wie jemand wie ich die Stirn hatte zu glauben, er könne sich einfach unter die Leute mischen, die hier verkehrten. Ich lächelte und bemühte mich, ihm nicht verbal mit der Faust zu drohen.
«Ja, danke», sagte ich. «Ich bin im Restaurant mit jemandem verabredet. Im Waltherspiel.»
«Mit einem Hotelgast?»
«Ich glaube nicht.»
«Sie wissen, mein Herr, dass dies ein Devisenhotel ist?»
Es gefiel mir, dass er mich «mein Herr» nannte. Das war anständig. Wahrscheinlich tat er es, weil ich am Morgen gebadet hatte. Und wahrscheinlich auch, weil ich ein bisschen zu kräftig gebaut war, um mir einfach eins aufs Maul zu geben.
«Das weiß ich, ja», sagte ich. «Es gefällt mir nicht, jetzt, wo Sie’s sagen, aber ich weiß es. Und die Person, auf die ich warte, weiß es ebenfalls. Ich habe sie darauf aufmerksam gemacht, als sie es vorschlug. Und als ich ihr sagte, es gefalle mir nicht und ich könne mir hundert nettere Orte vorstellen, erwiderte sie, es sei aber kein Problem. Woraus ich schloss, dass sie wohl im Besitz von Devisen ist. Ich habe zwar die Farbe ihres Geldes noch nicht gesehen, aber wie wär’s, wenn wir beide, sobald sie da ist, ihre Handtasche durchsuchen, damit Sie ruhig zusehen können, wie wir Ihre Cocktails schlürfen?»
«Ich bin sicher, das wird nicht nötig sein», sagte er steif.
«Und keine Bange», sagte ich. «Ich werde nichts bestellen, bevor sie nicht aufgetaucht ist.»
«Ab Februar nächsten Jahres werden wir hier D-Mark akzeptieren», sagte er.
«Na ja, hoffen wir, dass sie vorher kommt», sagte ich.
«Das Waltherspiel ist da entlang, mein Herr. Links herum.»
«Danke. Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen. Ich war selbst mal im Hotelfach. Hausdetektiv im Adlon in Berlin. Aber wissen Sie was? Ich glaube, in diesem Haus herrscht eine ganz andere Tüchtigkeit. Im Adlon wäre niemand auf die Idee gekommen, jemanden wie mich zu fragen, ob er sich den Aufenthalt auch leisten kann. Wäre denen nie eingefallen. Weiter so. Sie machen Ihre Arbeit prima.»
Ich ging zum Restaurant. Dort gab es noch einen Ausgang auf die Marstallstraße und eine Reihe seidenbezogener Stühle für Leute, die auf Wagen warteten. Ich warf einen Blick auf die ausgehängte Speisekarte und die Preise und setzte mich, um auf meine Kundin und mit ihr auf die Dollars oder Devisenzertifikate zu warten oder womit auch immer sie das Lösegeld berappen wollte, das sie im Waltherspiel verlangten. Der Chef-Ober streifte mich kurz mit einem Blick und fragte, ob ich zu Abend essen wolle. Ich sagte, ich hoffte, ja, und das war alles. Die Verachtung in seinen Augen richtete sich hauptsächlich auf eine kräftige Frau, die auf einem der anderen Stühle saß. Ich sage kräftig, meine aber dick. Das passiert, wenn man eine Zeitlang verheiratet ist. Man sagt nicht mehr, was man meint. Und das ist der einzige Grund, weshalb Ehen halten. Alle funktionierenden Ehen gründen auf einem gewissen Maß an Heuchelei, nur in den nicht funktionierenden sagen sich die Leute ständig die Wahrheit.
Die Frau gegenüber war dick. Und sie war hungrig. Das merkte ich daran, dass sie, sobald sie glaubte, dass der
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