Das Janusprojekt
ziehen. Deshalb war ich ein wenig überrascht, dass sie Ihnen gesagt hat, sie lebe in Wien.»
Klingerhoefer sah mich nachdenklich an und schüttelte den Kopf. «Warzok? Nein, ich bin mir sicher, dass sie damals nicht so geheißen hat», sagte er.
«Ich nehme an, sie hat ihren Mädchennamen benutzt», warf ich ein.
«Nein, es war eindeutig Frau Soundso», insistierte er. «Und nicht Fräulein. Ich meine, eine so gutaussehende Frau. Das ist doch das Erste, worauf man horcht. Ob sie verheiratet ist oder nicht. Vor allem, wenn man Junggeselle ist und so auf der Suche wie ich.»
«Du wirst schon eine finden», sagte seine Mutter und leckte das Mark vom Messer. «Du musst nur Geduld haben, das ist alles.»
«War es Schmidt?», fragte ich. So hatte sie sich genannt, als sie bei Krumper, dem Anwalt meiner verstorbenen Frau, gewesen war.
«Nein, Schmidt war es nicht», sagte er. «Das hätte ich mir gemerkt.»
«Mein Mädchenname ist nämlich Schmidt», erklärte seine Mutter hilfsbereit.
Ich wartete einen Moment schweigend ab, ob ihm der Name vielleicht doch noch einfallen würde. Schließlich entschuldigte ich mich und ging in Richtung Ausgang.
Der Chef-Ober eilte an meine Seite, mit den Ellbogen ruckend wie ein Tänzer. «War alles zu Ihrer Zufriedenheit, mein Herr?», fragte er.
«Ja», sagte ich und gab ihm ihre Dollars. «Sagen Sie, hatten Sie die Dame hier schon mal gesehen?»
«Nein, mein Herr», sagte er. «An diese Dame würde ich mich garantiert erinnern.»
«Ich hatte den Eindruck, Sie wäre Ihnen bekannt», sagte ich. Ich fischte einen Fünf-Mark-Schein aus der Tasche. «Oder war es vielleicht diese Dame hier, die Sie wiedererkannt haben?»
Der Chef-Ober lächelte und wirkte fast schon beschämt. «Jawohl, der Herr», sagte er. «Ich fürchte, die war es.»
«Da gibt es nichts zu fürchten», sagte ich. «Sie beißt nicht. Die hier nicht. Aber wenn Sie die andere Dame je wieder sehen, würde ich es gern erfahren.» Ich steckte ihm den Fünfer und meine Karte in die Brusttasche seines Fracks.
«Jawohl, der Herr. Selbstverständlich.»
Ich ging hinaus auf die Marstallstraße, in der vagen Hoffnung, Britta Warzok noch in einen Wagen steigen zu sehen, aber sie war längst weg. Die Straße war leer. Zum Teufel mit ihr, dachte ich und machte mich auf den Weg zu meinem Wagen.
Alle Kunden lügen.
16
Während ich die Marstallstraße und dann weiter die Maximilianstraße entlangging, dachte ich bereits darüber nach, was ich am nächsten Tag tun würde. Es würde ein Tag ohne Nazikriegsverbrecher und Rotjacken werden, ohne kriminelle kroatische Priester und mysteriöse reiche Witwen. Ich würde den Vormittag meiner Frau widmen und endlich Herrn Gärtner anrufen, den Bestatter, um ihm zu sagen, was auf Kirstens Gedenktäfelchen stehen sollte. Und ich würde zu Krumper gehen und ihn anweisen, mit dem Preis für das Hotel herunterzugehen. Abermals. Vielleicht würde ja schönes Wetter sein. Kirsten würde sicher nichts dagegen haben, dass ich im Gedenkgarten, wo ihre Asche verstreut worden war, ein bisschen Sonne abbekam. Am Nachmittag dann würde ich vielleicht nochmal in diese Kunstgalerie gehen – die neben dem Roten Kreuz – und schauen, ob ich mich für einen Schnellkurs in Kunstkennerschaft anmelden konnte. Ein Kurs, wo einen eine schlanke, attraktive junge Frau an die Hand nimmt und durch ein paar Museen führt und einem erklärt, woran man erkennt, ob ein Bild von einem Schimpansen gemalt wurde oder von einem Kerl mit einer schwarzen Baskenmütze. Und wenn das nicht klappte, würde ich mit meinem Englischwörterbuch und einem Päckchen Zigaretten ins Hofbräuhaus gehen und den Abend mit ein paar netten Brünetten verbringen, schweigende Brünette mit hübscher, schaumiger Blume und ohne schweres Schicksal. Alle fein ordentlich auf einem Tresen aufgereiht. Was auch immer ich letztlich tun würde, ich würde alles vergessen, was mich jetzt noch in Sachen Britta Warzok umtrieb.
Ich hatte meinen Wagen ein paar Straßen weiter östlich geparkt, in Fahrtrichtung Ramersdorf, für den Fall, dass mir danach wäre, ihre Adresse zu inspizieren. Mir war nicht sonderlich danach. Nicht nach zwei Gibsons. In diesem Punkt zumindest hatte Britta Warzok die Wahrheit gesagt. Im Vier Jahreszeiten gab es wirklich hervorragende Cocktails. In der Nähe der Stelle, wo mein Wagen stand, verbreitert sich die Maximilianstraße zu einem länglichen Platz, dem sogenannten Forum. Vermutlich hat sich jemand an das alte Rom
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