Das Janusprojekt
sich, dass Sie mir ein Jahr mehr gegeben haben. Ausgerechnet in diesem Alter. Vier Monate bin ich noch in den Zwanzigern.»
Die Drinks kamen. Sie hatte einen Brandy Alexander geordert, passend zu ihrem Hut und ihrer Jacke. Ich hatte einen Gibson gewählt, damit ich wenigstens eine Perlzwiebel zu essen bekam. Ich ließ sie erst mal von ihrem Cocktail trinken, ehe ich ihr sagte, was ich herausbekommen hatte. Ich sagte es ihr geradeheraus, ohne Euphemismen oder höfliche Umschweife, bis hin zu den Details, wie das jüdische Mordkommando Willy Hintze gezwungen hatte, sich sein eigenes Grab zu schaufeln und sich dann an den Rand zu knien, um per Genickschuss exekutiert zu werden. Nach dem, was sie mir in meinem Büro erzählt hatte – dass sie und ihr Verlobter hofften, falls Warzok noch am Leben sei, würde er geschnappt und in ein Land ausgeliefert werden, das die meisten Kriegsverbrecher hängte –, war ich mir ziemlich sicher, dass sie es verkraften konnte.
«Und Sie glauben, Friedrich ist das Gleiche widerfahren?»
«Ja. Der Mann, mit dem ich gesprochen habe, ist sich da mehr oder minder sicher.»
«Armer Friedrich», sagte sie. «Nicht gerade eine angenehme Todesart, was?»
«Ich habe schlimmere gesehen», sagte ich und zündete mir eine Zigarette an. «Ich würde ja sagen, mein Beileid, aber das schiene mir kaum angemessen.»
«Armer, armer Friedrich», sagte sie wieder. Sie trank ihr Glas aus und bestellte uns neue Drinks. Ihre Augen schienen feucht.
«Sie sagen das fast so, als ob es Ihnen ernst wäre», sagte ich. «Fast.»
«Sagen wir einfach mal, er hatte seine guten Momente? Ja, anfangs hatte er eindeutig seine guten Momente. Und jetzt ist er tot.» Sie nahm ein Taschentuch heraus und tupfte es sich sorgsam erst in den einen, dann in den anderen Augenwinkel.
«Das herauszufinden, ist eine Sache, Frau Warzok, es einem Kirchengericht hinreichend zu beweisen, ist schon schwieriger. Die alten Kameraden – die Leute, die Ihrem Mann helfen wollten – schwören auf gar nichts, außer vielleicht auf einen SS-Dolch. Das wurde mir unmissverständlich klargemacht.»
«Unangenehm, vermute ich mal.»
«Wie eine gemeine Warze.»
«Und gefährlich.»
«Würde mich nicht überraschen.»
«Hat man Ihnen gedroht?»
«Ja, ich glaube schon», sagte ich. «Aber das braucht Sie nicht weiter zu kümmern. Bedroht zu werden, ist für jemanden wie mich eine Art Berufsrisiko. Ich habe es kaum mitbekommen.»
«Bitte seien Sie vorsichtig, Herr Gunther», sagte sie. «Ich hätte Sie ungern auf dem Gewissen.»
Unsere neuen Drinks kamen. Ich trank meinen ersten aus und stellte dem Kellner das leere Glas aufs Tablett. Die dicke Frau und ihr Sohn, der bei American Overseas Airlines arbeitete, kamen herein und setzten sich an den Nachbartisch. Ich aß schnell meine Cocktailzwiebel auf, bevor sie mich am Ende darum bat. Der Sohn war Deutscher. Aber sein weinroter Gabardineanzug sah aus wie aus Esquire . Oder vielleicht auch aus einem Chicagoer Nachtklub. Die Jacke war übergroß, mit breiten Aufschlägen und noch breiteren Schultern, und die Hose war oben weit und tief im Schritt, lief aber zu den Knöcheln hin eng zu, wie um die braunweißen Schuhe zu betonen. Sein Hemd war weiß, seine Krawatte grellrosa. Das ganze Ensemble wurde durch eine überlange, doppelte Schlüsselkette abgerundet, die an einem schmalen Ledergürtel hing. Sein Blick glitt über Britta Warzok wie eine unsichtbare Zunge. Im nächsten Moment schob er seinen Stuhl zurück, legte seine kopfkissenbezuggroße Serviette hin, erhob sich und kam an unseren Tisch. Mit einem Lächeln, als hinge sein Leben davon ab, und einer steifen Verbeugung, die in dem lässigen Anzug völlig deplatziert wirkte, sagte er:
«Wie geht es Ihnen, meine Liebe? Wie gefällt Ihnen München?»
Frau Warzok sah ihn irritiert an. Er verbeugte sich wieder, fast, als hoffte er, die Bewegung würde ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.
«Felix Klingerhoefer. Wissen Sie nicht mehr? Wir haben uns im Flugzeug getroffen.»
Sie schüttelte den Kopf. «Das muss eine Verwechslung sein, Herr …?»
Ich hätte beinahe laut gelacht. Der Gedanke, dass jemand Britta Warzok mit irgendjemandem verwechseln könnte außer vielleicht mit einer der drei Grazien, war einfach zu absurd. Zumal mit den drei Narben in ihrem Gesicht. Eher hätte man Eva Braun verwechselt.
«Nein, nein», insistierte Klingerhoefer. «Ganz ausgeschlossen.»
Ich gab ihm im Stillen recht und fand es ziemlich plump von
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