Das Janusprojekt
zu erklären, und dann müsste sich die Kirche da gar nicht einschalten. Und jetzt, wo Sie wissen, dass er tot ist – was wäre da schon dabei?»
Frau Warzok zuckte die Achseln. «Was Sie da sagen, ist interessant, Herr Gunther», meinte sie. «Vielleicht werden wir mal mit einem Jesuiten reden und hören, was er uns rät. Aber ich könnte in solchen Dingen niemals lügen. Nicht vor einem Priester. Ich fürchte, für uns Katholiken gibt es keine bequemen Abkürzungen.» Sie trank ihren Cocktail aus und tupfte sich mit ihrer Serviette die Lippen.
«War ja nur ein Vorschlag», sagte ich.
Sie griff wieder in ihre Handtasche, legte fünf Dollar auf den Tisch und machte dann Anstalten zu gehen. «Nein, bitte, bleiben Sie sitzen», sagte sie. «Ich habe ein schrecklich schlechtes Gewissen, dass ich Sie vom Essen abgehalten habe. Bleiben Sie doch und bestellen Sie sich etwas. Was immer sie mögen, das hier dürfte so ziemlich für alles reichen. Oder trinken Sie wenigstens noch aus.»
Ich erhob mich, verabschiedete sie mit einem Handkuss und sah ihr dann nach. Sie ging ohne einen Blick für Herrn Klingerhoefer, der wieder rot wurde, an seiner Schlüsselkette herumnestelte und dann mit einem forcierten Lächeln seine Mutter ansah. Eine Hälfte von mir wollte ihr folgen. Die andere wollte bleiben und schauen, was aus Klingerhoefer herauszukriegen war. Klingerhoefer blieb Sieger.
Alle Kunden lügen, sagte ich mir. Bis jetzt war noch jeder mit der Wahrheit umgegangen, als wäre sie auch rationiert. Und der Detektiv, der weiß, dass sein Kunde lügt, weiß alles, was er wissen muss, denn damit ist er im Vorteil. Es stand mir nicht zu, die ganze Wahrheit über Britta Warzok wissen zu wollen. Wie jeder andere Kunde auch hatte sie gewiss ihre Gründe, mir nicht alles zu sagen. Sicher, ich war ein bisschen aus der Übung. Sie war erst mein dritter Kunde, seit ich meine Detektei in München eröffnet hatte. Trotzdem, schalt ich mich, hätte ich mich nicht so von ihr blenden lassen dürfen. Dann hätte es mich nicht so überrascht – nicht nur, dass sie so unverschämt log, sondern dass sie überhaupt log. Sie war so wenig streng katholisch wie ich. Eine strenggläubige Katholikin hätte zwar nicht unbedingt gewusst, dass Ulrich Zwingli der Schweizer Reformator des sechzehnten Jahrhunderts war. Aber sie hätte mit Sicherheit gewusst, dass der Jesuitenorden von Ignatius von Loyola gegründet worden war. Und wenn sie log, was ihren Glauben anging, dann traute ich es ihr auch in allen anderen Bereichen zu. Einschließlich des armen Herrn Klingerhoefer. Ich nahm die Dollars und ging an seinen Tisch hinüber.
Frau Klingerhoefer hatte sich inzwischen offensichtlich über ihre Skrupel wegen der Essenspreise im Waltherspiel hinweggesetzt und bearbeitete gerade eine Lammkeule. Sie unterbrach ihr Tun keine Sekunde. Nicht mal, als ich mich verbeugte und einen guten Abend wünschte. Sie hätte es vermutlich nicht einmal dann unterbrochen, wenn das Lamm nach Maria geblökt hätte. Ihr Sohn Felix war ganz mit seinem Kalb beschäftigt und säbelte ordentliche kleine Dreiecke davon ab, so wie Stalin auf diesen Zeitungskarikaturen, die wir dauernd zu sehen bekamen, Stücke von einer Europakarte abschnitt.
«Herr Klingerhoefer», sagte ich. «Ich glaube, Sie haben ein Recht auf eine Entschuldigung. Das ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Wissen Sie, die Dame ist viel zu eitel, um eine Brille zu tragen. Es kann sehr wohl sein, dass Sie sich schon einmal begegnet sind, aber ich fürchte, wegen ihrer Kurzsichtigkeit hat sie Sie einfach nicht wiedererkannt. Sie haben sich im Flugzeug getroffen, sagen Sie?»
Klingerhoefer erhob sich wohlerzogen. «Ja», sagte er. «Auf dem Flug von Wien hierher. Ich habe dort oft geschäftlich zu tun. Sie lebt ja wohl dort? In Wien?»
«Hat sie Ihnen das gesagt?»
«Ja», sagte er ein wenig verdutzt. «Ist sie irgendwie in Schwierigkeiten? Meine Mutter hat mir gesagt, Sie seien Detektiv.»
«Ja, das stimmt. Nein, sie ist in keinerlei Schwierigkeiten. Ich sorge für ihre persönliche Sicherheit. Wie so eine Art Leibwächter.» Ich lächelte. «Sie fliegt, ich nehme den Zug.»
«So eine gutaussehende Frau», sagte Frau Klingerhoefer, während sie mit der Messerspitze das Mark aus ihrem Lammknochen pulte.
«Ja, nicht wahr?», sagte ich. «Frau Warzok ist gerade in Scheidung begriffen», setzte ich hinzu. «Meines Wissens ist sie unentschlossen, ob sie in Wien bleiben soll. Oder hierher nach München
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