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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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schwieg.
    Dann war Judith am Ende, verstummte mit einem kieksenden Laut.
    Er war froh, daß es vorbei war. Er wollte nur noch einen Satz sagen, etwas, um die ganze Sache abzuschließen, abzurunden, einen Strich darunter zu ziehen, sie zu erledigen. Man konnte das ja nicht so stehen lassen.
    Doch nach dem einen Satz mußte er noch einen zweiten sagen, und dann noch einen und noch einen, und plötzlich war es, als bräche ein Damm in ihm, groß wie der HooverStaudamm, und dahinter hatte alle Wut, aller Haß, alle Verzweiflung gelagert, die er je empfunden hatte. Er hörte sich krächzend schreien, sah sich toben wie ein verrückt gewordenes Skelett, spürte all das Eklige, Verdorbene aus sich herausfluten, und es traf alles auf Judith, die ihn hilflos ansah, aber er konnte nichts dagegen tun.
    Dann war es vorbei. Er war leer. Sein Mund tat weh, blutete aus ein paar eingerissenen Stellen. Judith hatte aufgehört, ihn anzusehen, ging einfach weiter, genau wie er.
    Doch plötzlich sah er, wie sie in einem Bein einknickte, stolperte. Noch ehe er reagieren konnte, fiel sie in sich zusammen.
    »Judith…«Die glasige Luft schien aus Gallerte zu bestehen, nur zeitlupenhafte Bewegungen zu erlauben, die ungeheuer viel Kraft verschlangen. Er kniete neben ihr zu Boden, hob sie auf, bettete ihren Kopf auf seinen Schoß. Sie blutete aus einer Platzwunde an der Stirn, nichts Großes. Ihre Augen waren geschlossen.»Judith!«
    Sie hob die Augendeckel so mühsam, als wögen sie Tonnen, und sah ihn traurig an. Ihre Augen waren gerötet. Er sah ihre Halsschlagader wie verrückt pochen.
    Sie machte den Mund auf und zu, versuchte zu sprechen, aber es fiel ihr schwer. Er mußte sich hinabbeugen, um sie zu verstehen.
    »Ich dachte die ganze Zeit…«
    Sie brach ab, schüttelte den Kopf, schwach. Schloß die Augen wieder.
    »Was?«flüsterte er.
    »Ich dachte… du…«
    »Ich?«
    »Nichts.«
    Es tat gut, als der große, breite Schatten über sie fiel. Schritte, hinter ihnen, rechts und links, um sie herum. Es roch nach Benzin, nach Abgasen, nach verbranntem Gummi und heißen Bremsen, nach Rasierwasser.
    Ein Mann in einem taubenblauen, zweireihigen Anzug trat vor sie. Seine Schuhe waren so blank geputzt, daß sie glänzten. Er hatte eine goldene Krawattennadel. Der Mann schien nicht einmal zu schwitzen, und er streckte die Hand aus. So hatte sein Vater die Hand ausgestreckt, als er ihn einmal aus dem Kindergarten abgeholt hatte, und er hatte auch immer solche Anzüge getragen.
    »Geben Sie mir die Kamera, Stephen«, sagte der Mann.»Wir kümmern uns dann um Sie.«
    Das war nicht sein Vater. Sein Vater hatte sich nie um ihn gekümmert. Er hatte immer verlangt, daß seine Kinder stark waren, stark und selbständig. Es tat gut, daß sich einmal jemand um einen kümmern wollte. So gut. Mit einem schmerzenden Gefühl in den Augenwinkeln, weil keine Tränen kommen wollten, holte er das Bündel aus seinem Hemd.

37
    In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch stellte der diensthabende Nachtwächter Samuel Rosenfeld bei seinem letzten Rundgang um 7:15 früh fest, daß das Vorhängeschloß, das seit zwei Tagen provisorisch die Tür zum Restaurationslabor sicherte, entfernt war. Das Wachprotokoll weist ansonsten keinerlei Unregelmäßigkeiten auf.
    Aus dem Polizeibericht ES WAR KÜHL, als er erwachte. Er mußte geschlafen haben, ja, und es hatte gut getan. Die Kühle ringsumher schien die Hitze aufzusaugen, die immer noch in seinem Körper gespeichert war und nach allen Seiten abstrahlte. Und es war dunkel. Nein, nicht eigentlich dunkel. Er wußte nicht, wo er war. Er sah kahle, mattglänzende Metallwände, Reihen schimmernder Nieten darauf, eine Decke aus Metall. Durch schmale Luken dicht unter der Decke drang etwas Licht herein, genug.
    Eine Frau beugte sich über ihn. Sie trug einen weißen Kittel und sah ihn aufmerksam an. Er war sich sicher, daß er sie noch nie gesehen hatte. Sie hängte einen durchsichtigen, mit klarer Flüssigkeit prall gefüllten Plastikbeutel an einen Metallhaken über ihn, befestigte einen Plastikschlauch daran, der unter einem Verband an der Oberseite seiner rechten Hand endete.
    »Was…?«begann er krächzend.»Was machen Sie da?«
    Die Frau sah zu ihm herunter und lächelte nur freundlich.
    Er hob mühsam den Arm, betrachtete den Anschluß auf seiner Hand. Was hatte das zu bedeuten?
    Die Frau verschwand. Ein anderes Gesicht erschien über ihm, das Gesicht eines alten, weißhaarigen Mannes.
    Er kannte dieses Gesicht. Professor

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