Das Jesus Video
Es würde noch eine Weile dauern, ehe er sich wirklich wohlfühlen konnte. Nur gut, daß er allein war. Seine Frau hätte ihm jetzt nur eine lange Eiste immer gleicher Vorwürfe und verächtlicher Bemerkungen in die Ohren gekeift, bis hin zum Siedepunkt, wenn er das Gefühl bekam, daß sein Kopf jeden Augenblick platzen und er sie entweder schlagen oder seiher gehen mußte. Meistens ging er, und in letzter Zeit entdeckte er zusehends, wie angenehm es war, ohne sie durch die Welt zu reisen. Das einzige, was ihn wirklich ärgerte, war, daß er sich selber die Schuld daran zuzuschreiben hatte — als er sie geheiratet hatte, hatte er im Grunde nur darauf geachtet, wie sie auf Fotos neben ihm aussah, hatte nur in Kategorien von» standesgemäß «und» die Frau an der Seite des Gewinners «gedacht… Was für ein Klischee! Was für ein Bullshit! Jedesmal, wenn er zurückkehrte in die riesige Villa, die sie gekauft hatten, auf Coney Island natürlich, mit Pferdeställen und einer Menge Garagen und ungezählten Zimmern und Sälen, fühlte er sich wie ein Fremder, wie ein Ehemann-Darsteller. Sie hatte alles so lange vollgestopft mit unzähligen sündhaft teuren Kinkerlitzchen, bis endlich ihr sehnlichster Traum in Erfüllung gegangen war, die einzige wirkliche, aufrichtige Sehnsucht in ihrem flachen Leben: das angeblich bedeutendste amerikanische Inneneinrichtermagazin hatte ihrem Haus eine zwölfseitige Reportage gewidmet. Zwölf Seiten! Alle in Farbe! Das war dann monatelang peinlicher Gesprächsstoff auf all den dummen Parties gewesen, die sie ausrichtete, mit all den dummen Leuten, die sie von irgendwoher anschleppte.
Er schleppte sich ins Bad, riß den Wasserhahn auf und hielt den Kopf direkt unter das kalte Wasser. Flüchtig dachte er an die Kosten, die es verursachte, hier, mitten in der Wüste und in einem Wohnwagen, solche Mengen eiskalten Wassers zu verbrauchen, aber das Pochen in seinem Schädel ließ nach davon, und das war das einzige, was zählte.
Das war sein Leben. Er haßte jede Einzelheit daran, mit Ausnahme seines Büros und seiner Firma. Er hatte sich in den letzten Monaten oft gefragt, ob das nicht vielleicht das wahre Geheimnis erfolgreicher Männer war: zu wissen, daß zu Hause eine unerträgliche Frau auf sie wartete, und demzufolge leichten Herzens lange im Büro zu bleiben und endlos zu arbeiten, weil das immer noch besser war als jeder andere Aspekt in ihrem Leben.
Aber natürlich gehörte es zu den ungeschriebenen Gesetzen der Kreise, die sich für die oberen hielten, jederzeit den Anschein zu erwecken, eine erfüllte Ehe zu führen und überhaupt völlig glücklich zu sein, in der festen Überzeugung natürlich, alles Glück sich selber, den eigenen Anstrengungen und Leistungen zu verdanken. Da war niemand, den er hätte fragen können, ob seine böse Vermutung zutraf.
Nun, im Augenblick war er jedenfalls hier, Tausende von wunderbaren Meilen von zu Hause entfernt. Er nahm den Rasierapparat zur Hand und unterzog sein dunkles, stoppeliges Kinn einer Rasur, die so gründlich war wie seine Verträge. Währenddessen verschwanden auch die dunklen Ringe unter seinen Augen, als wären sie nur Schatten gewesen. Allmählich kam er näher, der wahre Beginn des Tages.
Danach kämmte er sich überaus sorgfältig, schnitt hier und da ein vorwitziges Haar ab und überprüfte seine Haut auf Unreinheiten. Täuschte er sich, oder sah er da schon einen Hauch natürlicher Sonnenbräune? Um so besser, das sparte Zeit im Solarium. Er griff nach dem bereitliegenden Hemd. Zu Hause hatte er einen Butler, aber das war auch nur ein Spleen seiner Frau gewesen; er brauchte so etwas nicht, kam gut alleine zurecht. Das Zuknöpfen des Hemdes ging gut, schnell und sicher. Ja, er kam allmählich in Bewegung, wie eine Dampflokomotive, sieben Tonnen Stahl auf Rädern, zuerst fast nicht von der Stelle zu bewegen, aber einmal in Fahrt, unaufhaltsam. Pure Wucht. Reine kinetische Energie.
Den richtigen Anzug wählte er mit sehr viel Bedacht. Was Kleidung anbelangte, war ihm das Teuerste gerade gut genug. Daß eine hochwertige Garderobe das wichtigste Argument im Geschäftsleben war, davon war er überzeugt wie von nichts sonst. Man mußte zeigen, daß man dazugehörte, daß man einer derjenigen war, die nach ganz oben gehörten egal, ob man schon da war oder erst dorthin wollte. Wenn man viel Geld haben wollte, dann mußte man auch so aussehen, als verdiene man es.
Damit hatte seine der/eitige Popularität in den Medien
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