Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
hatte mit ihr. Denn er hatte immer irgend etwas vor. Er machte niemals etwas ohne Grund, und meistens dachte er um mehrere Ecken herum, mehr jedenfalls als jeder andere, den Judith kannte. Zum ersten Mal bewunderte sie jemanden wegen seines rasiermesserscharfen Verstandes.
    Sie mochte, wie er sich bewegte. Sie verfolgte ihn, wie er die Anhöhe herunterkam mit seinem Tablett, beobachtete ihn, wie er es zurückgab an der Theke. Der Küchenchef schien etwas daran auszusetzen zu haben — hielt ihm vermutlich die übliche Standpauke, daß es nicht erlaubt war, Geschirr mit in die Zelte zu nehmen -, und Stephen argumentierte dagegen, sein übliches siegesgewisses Lächeln auf dem Gesicht. Sie mochte, wie er sich bewegte, ja. Sie hatte viele entsetzlich gescheite Jungs kennengelernt auf der Schule, aber das waren bebrillte, ungeschickte Knaben gewesen, bei denen die Intelligenz auf Kosten der übrigen Körpersubstanz zu etwas Abnormem herangewuchert zu sein schien. Bei Stephen dagegen waren Körper und Geist eine harmonische Einheit. Nicht, daß er besonders sportlich zu sein schien — wahrscheinlich hätte sie ihn in jeder beliebigen sportlichen Disziplin schlagen können -, aber er war mit sich selbst in Übereinstimmung, strahlte eine manchmal enervierende Selbstsicherheit aus.
    Aber Liebe war für ihn eben Nebensache. Nicht, weil er sie nicht sah, während er auf die silbern schimmernden Wohnwagen zuging. Nein, es war mit Händen zu greifen, daß er kein Mann auf der Suche nach einer Partnerin war. Liebe bedeutete für ihn im Augenblick eigentlich Sex, und vielleicht etwas Sympathie. Freundschaft, im besten Fall.
    Man schien ihn bei den Wohnwagen zu erwarten. Einer der Männer, die mit ihren Uniformen wie Invasoren wirkten, hielt ihn an, fragte ihn etwas, nickte dann und wies ihm den Weg. Stephen ging auf einen der Wohnwagen zu, den zweiten, von der Küche her gesehen, öffnete die Tür und verschwand darin.
    Sie war einmal genauso gewesen. Im ganzen Land lebten Männer, deren Herzen sie gebrochen hatte. Die Armee, die für die meisten Wehrpflichtigen das größte Eheanbahnungsinstitut Israels darstellte, war für sie eine einzige lange Party gewesen. Zum ersten Mal der elterlichen Aufsicht zuverlässig entronnen, hatte sie sich einfach nur ausgetobt, und wenn ihr einer von Liebe und Heiraten und Kinderkriegen angefangen hatte, hatte sie nur lauthals gelacht. Ziemlich gemein war sie teilweise gewesen, wenn sie heute zurückdachte.
    Aber da war ein Sehnen nach etwas anderem. Sie konnte es nicht genauer beschreiben, und sie hatte manchmal das Gefühl, daß es niemand außer ihr verstand. Vielleicht machte sie sich auch nur etwas vor. Vielleicht haßte sie es, immer so stark zu erscheinen, daß sie in keinem Mann mehr Beschützerinstinkte zu wecken vermochte. Vielleicht wollte sie sich einfach nur einmal fallenlassen und als Frau fühlen können. Aber nein, das war es auch nicht. Sie sehnte sich nach einer Beziehung, die sie zwar nur unvollkommen beschreiben konnte — aber sie war sich sicher, daß sie sie erkennen würde, wenn sie ihr begegnete. Und sie war entschlossen, nicht eher aufzuhören zu suchen.
    Stephen war es nicht. Er war attraktiv, sie mochte ihn, und wahrscheinlich war er auch das, was man eine» gute Partie «nannte, wenngleich ihr das nicht so viel bedeutete. Aber es war unfair, von ihm zu verlangen, sich zu ändern. Wenn sie ihn nicht so akzeptieren konnte, wie er war, dann blieb ihr nur, weiterzusuchen.
    »Kannst du nicht morgen weitersuchen?«hatte Stephen gefragt, und wenn sie jetzt daran dachte, bekam sie ganz weiche Knie. Wie hatte sie ihn nur zurückweisen können? Was war schon dabei, eine Rast einzulegen auf einer Suche, die wahrscheinlich noch lange dauern würde? Wenn er sie in diesem Augenblick gefragt hätte, sie hätte alles liegen-und stehenlassen und wäre mit ihm gegangen.
    Aber er war nicht da, sie zu fragen. Statt dessen stieg die Sonne höher, und es wurde Zeit, den letzten Kaffee auszutrinken und sich an die Arbeit zu machen.
    Gerade als sie aufstehen wollte, fiel ihr Blick auf den Mann, der aus dem Schatten der Wohnwagen getreten war und mit langsamen, bedächtigen Schritten die Anhöhe zu den Zelten hinaufging. Der Mann, der sie gestern abend aufgehalten hatte. Der Mann mit dem militärischen Kurzhaarschnitt und den blauen Röntgenaugen. Er ging geradewegs hinauf zu den Zelten, und Judith mochte die Art, wie er ging, ganz und gar nicht.
    Sie kannte diese Art wie genden Schrittes.

Weitere Kostenlose Bücher