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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Zeltstoff zu dringen. Er sah ein einzelnes Feldbett, das wieder ordentlich herzurichten der Bewohner des Zeltes nicht für nötig gehalten hatte. Decke und Laken hingen bis auf den staubigen Boden hinab, der einfach aus festgetretener Erde bestand. Daneben eine Kleiderstange, an der mehrere Bügel mit Kleidungsstücken aufgehängt waren, und ein Spiegel. Der Mann mit den ausdruckslosen, wasserblauen Augen pfiff leise durch die Zähne, ohne daß seine Augen an Ausdruckslosigkeit eingebüßt hätten. So großzügig wohnte sonst niemand im Lager der Grabungshelfer, soviel hatte er bereits mitbekommen. So großzügig wohnte nicht einmal er selber.
    Dann stand da noch ein schmaler weißer Klapptisch aus Metall und Plastik, und darauf lag ein zusammengeklappter Notebook-PC. Einfach so. Angst, das wertvolle Gerät könne ihm gestohlen werden, schien sein Besitzer nicht zu haben. Und auch keine Angst, daß sich in seiner Abwesenheit jemand daran zu schaffen machen könnte.
    Genau das war es nämlich, was Ryan zu tun beabsichtigte. Er setzte sich auf den Klappstuhl, der schräg vor dem Tisch stand, sorgfältig darauf achtend, ihn nicht zu bewegen, breitete seine Hände aus wie zu einer beschwörenden Geste und musterte den kleinen Computer genau. Stand er irgendwie besonders ausgerichtet? War irgendwo ein Haar, ein Streichholzsplitter oder ein Stück Papier eingeklemmt, das später verraten würde, daß jemand an dem Gerät gewesen war? Ryan sah nichts dergleichen, und er klappte den Deckel hoch, der zugleich den Bildschirm enthielt. Jetzt konnte es natürlich sein, daß auf dem Computer selbst ein Programm installiert war, das jeden einzelnen Einschaltvorgang mit Datum und Uhrzeit in eine verborgene Datei protokollierte. Aber Ryan kannte sich mit solchen Sicherungsmaßnahmen aus; er wußte, wo er danach zu suchen hatte und wie er die entsprechenden Einträge löschen konnte, so daß nach menschlichem Ermessen später nichts verraten würde, daß jemand den Rechner durchsucht hatte. Er drückte die Einschalttaste. Das typische surrende Geräusch der anlaufenden Festplatte war zu hören, und der flache Bildschirm wurde hell.
    Es gibt auf einem modernen Personal Computer eine ganze Menge Programmfunktionen, die wie geschaffen zu sein scheinen für die Bedürfnisse von Spionen, und Ryan kannte sie alle. Er ließ die Festplatte durchforsten nach Dateien, die innerhalb der letzten drei Tage entstanden oder verändert worden waren. Eine lange Liste entstand, die er sorgsam durchmusterte. Einzelne Dateien, Briefe etwa oder sonstige Dokumente, nahm er genauer in Augenschein, indem er sie mit Hilfe des entsprechenden Schreibprogramms öffnete und am Bildschirm durchlas. Der Mann mit den kurzgeschorenen Haaren arbeitete rasch und zielstrebig, und seine Augen schienen, wie sie über den Bildschirm wanderten, dessen Inhalt aufzusaugen und in einer anderen Art Speicher unfehlbar abzulegen.
    Sein Blick fiel währenddessen auf die Schublade des CDROM-Laufwerks. Er öffnete sie, musterte kurz die Beschriftung der darin liegenden Silberscheibe, hob kurz eine Augenbraue und ließ die Lade durch einen kurzen Druck wieder zufahren, ohne sich die Mühe zu machen, noch einmal nach dem eigentlich dafür vorgesehenen Druckknopf zu tasten. Während die CD-ROM mit einem verhaltenen, schabenden Geräusch auf Touren kam, startete Ryan das zugehörige Leseprogramm, rief die Suchfunktion auf und ließ sich darin die letzten Suchbegriffe auflisten.
    Jesus Christus war der Begriff, nach dem zuletzt gesucht worden war.
    Ryan lächelte ein kühles, kaum wahrnehmbares Lächeln, an dem seine Augen nicht beteiligt waren. Er hatte genug gesehen. Rasch vergewisserte er sich, daß seine Inspektion des Rechners unbemerkt bleiben würde, dann schaltete er das Gerät ab.
    Einen Augenblick lang blieb er ruhig sitzen. Ein Beobachter, wenn es in diesem Moment einen Beobachter gegeben hätte, hätte den Eindruck gewonnen, daß Ryans Augen für eine kurze Zeit sozusagen die Energie entzogen wurde, wie um sie den übrigen Sinnesorganen zuzuführen. Sein Blick wurde trüb, fast glasig, während seine Ohren jeden Schritt in weitem Umkreis um das Zelt wahrnahmen. Seine Nase roch den Staub, den getrockneten Schweiß der gebrauchten, aber noch nicht gewaschenen Wäsche und die Ausdünstungen der Bettlaken. Seine Haut spürte die Hitze, die von allen Seiten kam, beinahe sogar die Anordnung der Einrichtungsgegenstände ringsum. Er machte nicht den Fehler, sich nur auf den Computer

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