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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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sehen, um mich herum nur ein Wald aus Schatten und Gräbern. Michelets Grabstätte war ein kleines Monument, ein breiter, von zwei römischen Säulen eingerahmter Grabstein, auf dem ein Fresko einen verhüllten Geist zeigte, der sich über das Grab erhob. Die Nacht zauberte Furcht erregende Schatten auf die weiße Skulptur. Ich fror.
    Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch. Ich zuckte zusammen. Langsam wandte ich den Kopf. Aber ich sah nichts. Ich begann, rückwärts zu gehen, suchte einen Halt, eine Stütze. Ich war in Panik. Und die Angst ließ mich erfrieren.
    Dann tauchte ein schwarzer Schatten vor mir auf, als sei er aus einem Grab hochgestiegen. Ich blieb wie erstarrt stehen. Zwei Silhouetten zeichneten sich wie ein Schattenspiel auf der weißen Wand einer Gruft hinter ihnen ab. Es waren ein Mann und eine Frau.
    Ich erkannte Sophie. Ihre Hände waren auf den Rücken gefesselt und sie hatte einen Knebel im Mund. Der Mann neben ihr hielt ihr einen Revolver an die Schläfe, stieß sie vor sich her.
    Ich zitterte. Ich hörte Sophies keuchenden Atem. Bestimmt weinte sie. Ich konnte ihr Gesicht nicht deutlich genug erkennen, aber ihre Bewegungen und ihr Atem verrieten Todesangst. Sie war da, stand vor mir wie ein Versprechen, das gehalten werden musste. Sie war so nah und doch unerreichbar. Am liebsten hätte ich alles angehalten. Die ganze Welt angehalten. Sophie aus dieser Geschichte befreit und wäre mit ihr verschwunden, ganz einfach mit ihr verschwunden.
    »Der Stein!«, rief der Mann und zielte mit dem Revolver auf Sophies Stirn.
    In meinem Nacken bildeten sich Schweißperlen und meine Hände zitterten. Ich atmete tief durch und versuchte, mich aufrecht zu halten. Sophie war nur wenige Schritte von mir entfernt. Ich durfte keinen Fehler machen.
    Langsam schob ich die Hand in meine Tasche. Ich spürte das Papier zwischen den Fingern. Der Code. Sie mussten den Code akzeptieren. Ich schluckte schwer, biss die Zähne aufeinander und holte langsam das Blatt aus meiner Tasche.
    Das war unsere einzige Chance. Sophies Leben gegen ein Stück Papier.
    »Da«, sagte ich und hielt das Blatt in der Hand.
    Das Papier zitterte in meinen Fingern. Ein weißes Rechteck in dunkler Nacht. Ein Windstoß hob das Blatt hoch. Zwei Mal. Dann blieb es an meinem Daumen hängen. Ich rührte mich nicht.
    Plötzlich machte der Unbekannte eine brüske Bewegung. Er schüttelte Sophie, die er am Arm festhielt.
    »Wollen Sie mich verarschen?«, brüllte er. »Das ist nicht der Stein.«
    »Warten Sie …«, stammelte ich. »Es ist der Code, den Stein hab ich nicht, aber …«
    Ich hatte keine Gelegenheit, meinen Satz zu beenden.
    Der Schuss erzeugte einen weißen Blitz. Trocken. Heftig. Unerwartet. Ich weiß nicht, ob der Knall vor dem Licht kam. Aber ich blinzelte zwei Mal. Zuckte zwei Mal zusammen. Ein Schrei wurde ausgestoßen. Vermutlich von mir. Die Detonation hallte zwischen den Grabsteinen wider. Kam als Echo zurück.
    Dann sah ich, wie Sophies Körper langsam, wie in Zeitlupe, nach vorn fiel.
    Ihre Arme baumelten leblos an ihrem Körper. Sie tat nichts, um den Fall zu mildern. Kein Reflex. Der Kopf hing ihr auf die Brust. Langsam brach sie zusammen wie eine Gliederpuppe.
    Mit einem schrecklichen Geräusch schlug ihr Kopf auf das Pflaster. Als der zweite Schuss ertönte, schrie ich vermutlich immer noch. Aber ich sah nichts mehr, hörte nichts mehr. Ich spürte nur noch, wie ich fiel, immer tiefer.
    Das Sausen in meinen Ohren vermischte sich mit anderen Schüssen. Ein Aufflackern nach dem anderen. Laute Echos. Eine Schießerei um mich herum. Aber ich war nicht da. Weiße Blitze.
    Nein. Nicht so. Nicht so.
    Plötzlich wurde ich nach hinten geschleudert. Ein schneidender Schmerz in der Brust. Das Geräusch von Schritten. Schreie. Und wieder Schüsse.
    Dann wurde es still. Und langsam traten mir Tränen in die Augen. Meine Kehle schnürte sich zu. Dann der Schmerz. Ich erinnere mich nur an den Schmerz.
    Plötzlich spürte ich Badjis Hand auf der Schulter.
    Sie haben eine Kugel abbekommen.
    Er flüsterte.
    Die Weste hat sie abgebalten.
    Wie lange schon war ich hier? War es dunkle Nacht oder sah ich nichts mehr? Am liebsten wollte ich das Bewusstsein verlieren. Verschwinden. Nichts mehr wissen. Nichts mehr fühlen. Ich wollte, dass der Schmerz aufhört. Dass der Gedanken verschwand, der von mir Besitz ergriff. Dieser irreversible Satz. Diese überflüssigen Worte. Sophie ist tot.
    Aber es gab nur noch diesen Satz. Und den

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