Das Jesusfragment
kannte sich aus, sie war voller Eifer und ihre Bildung ermöglichte es ihr, viel schneller voranzukommen, als ich es je vermocht hätte.
»Sophie, ich habe einen Bärenhunger!«
»Haben Sie nichts gegessen?«
»Zwischen zwei Kugeln, die auf mich abgefeuert wurden? Nein, ich hatte keine Zeit«, bemerkte ich sarkastisch.
»Es ist fast achtzehn Uhr. Ein bisschen früh fürs Abendessen, aber wir können runtergehen, und Sie essen ein Sandwich in einer Kneipe oder bei McDonald's.«
»Also los.«
Badji ging uns eilig voran. Ich zuckte überrascht zusammen. Er bewegte sich wie ein echter Bodyguard, und es fiel mir schwer, mich daran zu gewöhnen.
In den Aufzügen des Centre Pompidou, die in großen gläsernen Röhren an der Außenfassade entlangglitten, drängten sich die Menschen und fuhren hinauf oder hinunter. Allmählich spürte ich im Nacken wieder jenes Kribbeln, das mich bereits aus der Nationalbibliothek getrieben hatte. Das Gefühl, beobachtet zu werden. Verweilten die Blicke der Besucher nicht doch ein wenig zu lange auf uns? Waren wir in diesem großen Glasgebäude tatsächlich in Sicherheit?
Auf der Rolltreppe rückte ich näher an Sophie heran und drückte ihren Arm. Sie lächelte mich an. Dann warf ich einen Blick auf Badji. Ich versuchte, in seiner Miene einen Anflug von Besorgnis zu entdecken. Aber er wirkte gelassen. Vielleicht täuschten mich meine Instinkte. Ich versuchte, mich zu entspannen. Die Verletzungen an meinen Händen zu vergessen. Das Echo der Schüsse in meinem Kopf. Die Schatten der Raben um mich herum.
Wir betraten den Vorplatz des Centre Pompidou, wo sich die Touristen um ein paar Straßenmusikanten scharten. Ein hochgewachsener schwarzer Gitarrist mit langen Haaren hatte sich neben seinem Verstärker aufgestellt, wiegte sich in den Hüften und spielte Hendrix. Ein Fakir schritt über Glasscherben. Wir schlängelten uns an Schaulustigen und Karikaturisten vorbei.
Als wir in die Rue Berger kamen, deutete Badji mit fragender Miene auf einen Sandwichladen. Ich nickte. Wir gingen hinein, setzten uns, und ich gab meine Bestellung auf.
Sophie sagte mit leiser Stimme:
»Damien, wir müssen jetzt entscheiden, wie wir weiter verfahren wollen. Ich habe meine Arbeit über Dürer beendet. Wir müssen uns organisieren.«
»Und was ist unsere nächste Etappe? Sollen wir den Stein von Iorden finden?«, fragte ich schüchtern.
»Ja, aber das wird nicht reichen. Ich erinnere Sie daran, dass er nur der Schlüssel ist, um die Botschaft Christi zu enträtseln. Aber wir wissen immer noch nicht, wo sich die Botschaft selbst befindet. Ich hatte gehofft, am Ende von Dürers Text einen Hinweis darauf zu finden, aber es gab keinen.«
Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. Wir beide wollten mit unserer Suche so schnell wie möglich vorankommen, aber wir wussten nicht mehr, welche Spur wir verfolgen sollten.
»Warten Sie«, rief ich plötzlich. »Ich habe vergessen, Ihnen etwas zu erzählen, das uns vielleicht einen Anhaltspunkt bieten könnte.«
»Was?«, erkundigte sich Sophie ungeduldig.
Die Kellnerin brachte mein Sandwich. Ich zahlte und biss hinein. Sophie gab mir ein Zeichen, mich zu beeilen, und daraufhin kaute ich schneller an der etwas trockenen Mischung aus Brot und Wurst.
»Borellas Tochter«, fuhr ich fort, »hat in Le Monde einen Artikel gefunden, der von einem Massaker an der Religionsgemeinschaft berichtet, die ihr Vater entdeckt hatte.«
»An den Essenern?«
»Ja, wenn es sich tatsächlich um Essener handelte. Das Kloster soll völlig zerstört worden sein und es soll keinen Überlebenden mehr geben. Anscheinend stand in dem Artikel nicht viel mehr. Der Vorfall wurde in einer schlichten Nachricht abgehandelt. Bei allem, was in der Gegend geschieht, sind die Journalisten durch nichts mehr zu erschüttern. Aber trotzdem sind es ein paar Zufälle zu viel. Borella wird ermordet, die Gemeinschaft, die er entdeckt hatte, wird in derselben Woche ausgemerzt, mein Vater wird ermordet und heute schießt man auf Borellas Tochter …«
»Die Vermutung liegt nahe, dass immer die gleichen Leute dafür verantwortlich sind. Aber was bedeutet das Ihrer Meinung nach?«
»Die Essener haben etwas gewusst, und man wollte sie zum Schweigen bringen. Oder, was noch wahrscheinlicher ist, sie besaßen etwas.«
»Den verschlüsselten Text Jesu?«, mutmaßte Sophie mit einem Funkeln in den Augen. »Oder den Stein von Iorden …«
»Nein«, erwiderte ich. »Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um den
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