Das Jesusfragment
um den Orden zu unterstützen, schrieb Bernhard den berühmten Text De laude novae militiae . Darin rechtfertigte er ihre Mission, erklärte, dass ihnen die heiligen Stätten anvertraut werden sollen, aber auch, dass man sie beschenken sollte, um ihnen ihre Aufgabe und den Aufbau des Ordens zu erleichtern. Und natürlich ging er selbst mit gutem Beispiel voran.«
»Er schenkte ihnen den Stein von Iorden?«
»Er schenkte ihnen nicht nur diesen Stein, er bat sie sogar, ihn nach Jerusalem zu bringen, wo er schon immer hätte bleiben sollen. Einige Jahre später nahm Balduin II., König von Jerusalem, den Stein entgegen und bewahrte ihn in dem Flügel des Palastes auf, wo einst der Tempel König Salomos stand. Von nun an nannte sich die Arme Ritterschaft Templerorden. Mehrere Dokumente jener Zeit belegen, dass der Stein fast zweihundert Jahre lang in ihrem Besitz blieb. 1187 verloren die Templer zwar Jerusalem, ließen sich aber in Akkon und anschließend auf Zypern nieder. Jedes Mal nahm der Großmeister des Ordens den Stein von Iorden zusammen mit anderen Reliquien des heiligen Grabs mit. Der heilige Bernhard hatte es richtig vorausgesehen: Die Templer waren die besten Hüter dieser kostbaren Reliquie. Unglücklicherweise suchte Philipp der Schöne, der den Templern viel Geld schuldete und sie um ihren legendären Reichtum beneidete, zu Beginn des 14. Jahrhunderts eine Möglichkeit, sich des Ordens zu entledigen.«
»Man erwähnt ständig die Schätze der Templer; waren sie wirklich so reich?«
»Ja, das kann man wohl sagen! Der Erlass von Papst Innozenz II. aus dem Jahre 1139 befreite sie nicht nur von Abgaben, sondern berechtigte sie zudem, Geld zu sammeln und Almosen entgegenzunehmen. Und die Christen zeigten sich über alle Maßen großzügig, wenn es darum ging, den Hütern des Grabes Christi etwas zu spenden. Außerdem vermachten alle Adeligen, die dem Orden beitraten, den Templern ihre Besitztümer: Häuser, Land, Geld. Kurz gesagt, der Templerorden, der auch als Wucherer auftritt, verfügte über ein Vermögen, das mindestens so groß war wie der Hass, den der fränkische König ihm entgegenbrachte. Die Ländereien des Ordens waren unermesslich groß. Allein in Paris besaßen die Soldaten-Mönche ein ganzes Viertel.«
»Das Quartier du Temple.«
»Was sind Sie doch für ein helles Köpfchen!«, neckte sie mich. »Trotz des päpstlichen Schutzes gelang es Philipp dem Schönen nach mehreren Anläufen, die Templer schließlich zu verhaften. Anfangs tobte Papst Klemens V., als er jedoch erkannte, dass es vermutlich zu spät war, leistete er dem König keinen Widerstand mehr, verlangte aber, dass die Güter der Templer unter den Schutz der Kirche gestellt wurden.«
»Nicht dumm.«
»Die Besitztümer des Ordens waren von Beauftragten des Königs konfisziert worden, aber nachdem der Papst Anspruch darauf erhob, war Philipp der Schöne nach vielen geheimen Verhandlungen am Ende eines Pseudo-Prozesses bereit, den ganzen Besitz der Templer den Johannitern zu übergeben, einem Orden, der ungefähr um diese Zeit in Jerusalem gegründet worden war. Kurz gesagt, 1312 erbten die Johanniter, die sich zehn Jahre zuvor auf Rhodos niedergelassen hatten, den berühmten Schatz der Tempelritter.«
»Zu dem auch der Stein von Iorden gehörte.«
Sophie nickte.
»Genau. Und hier endet Dürers Manuskript. Ihm zufolge befindet sich eine der geheimnisvollsten Reliquien der Geschichte im Besitz der Johanniter. Man darf nicht vergessen, dass Dürer dies um 1514 schreibt, kurz bevor die Johanniter von Sultan Suleiman dem Prächtigen aus Rhodos vertrieben wurden, und Karl V. ihnen als Dank für ihre Hilfe gegen die Türken die Insel Malta überließ. Sie wurden dann übrigens in Ritter des Malteserordens umbenannt. Aber von da an verliert sich die Spur des Steins von Iorden. So weit bin ich gekommen, und Ihr Vater war mit seinen Recherchen auch nicht weiter vorgedrungen.«
»Also müssen wir weitersuchen«, schlug ich vor.
»Ja. Da wäre einmal die Spur zu den Freimaurern, die Ihr Vater am Rande erwähnt hat. Die Verbindung des Steins zum Malteserorden oder schlimmer noch, zu den Templern, scheint mir allzu offensichtlich zu sein.«
»Ich habe Chevalier gebeten, Nachforschungen darüber anzustellen.«
Eine Weile schwiegen wir. Ich betrachtete sie voller Bewunderung. Sie hatte ihre Arbeit in erstaunlich kurzer Zeit erledigt. Mein Vater hatte schon die Richtige ausgesucht, die ihm bei seinen Recherchen helfen sollte. Sophie
Weitere Kostenlose Bücher