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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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wie es Ihnen geht«, sagte ich zu Sophie gewandt, »aber diese Menschenjagd geht mir allmählich auf den Keks.«
    Sophie schien überrascht zu sein. Offenbar verriet meine Stimme etwas, das sie zuvor noch nie gehört hatte. Zorn.
    »Stéphane«, fuhr ich fort und ging unbeirrt weiter. »Haben Sie sie gesehen?«
    Er nickte.
    »Wie viele sind es?«
    »Zwei«, erwiderte er und gab mir ein Zeichen, mich nicht umzudrehen.
    »Sind Sie sicher?«
    »Zu neunzig Prozent.«
    »Was tun wir?«
    Badji zögerte, warf einen unauffälligen Blick in ihre Richtung, dann zog er eine Grimasse.
    »Okay«, sagte er und fasste uns beide an der Schulter. »Die Eurostar-Abfahrt ist dort oben. Wenn sie uns hinaufgehen sehen, wissen sie, dass wir nach England fahren. Wir müssen sie unbedingt täuschen.«
    »Ich habe keine Lust mehr zu fliehen«, erwiderte ich. »Können Sie denen nicht einfach die Fresse polieren?«
    »Das geht wohl schlecht. Also los, wir haben keine Zeit zu verlieren. Auf mein Zeichen rennen Sie so schnell Sie können zu der Rolltreppe da vorn, direkt vor der Brasserie. Dann müssen wir möglichst rasch in dem Stockwerk darunter verschwinden, wo die langen Tunnel sind, die zur S-Bahn führen. Mit ein bisschen Glück werden sie annehmen, dass wir von dort aus weiter wollen. Aber wir werden schleunigst über eine andere Treppe wieder hierher zurückkommen. Es ist riskant, aber wir müssen es versuchen.«
    »Wir werden den Zug verpassen«, warf Sophie ein.
    »Beeilen Sie sich, sie kommen schon näher.«
    Sie nickte.
    »Go!«, rief Badji und tippte uns an die Schultern.
    Sophie rannte voraus, ich folgte ihr. Ohne uns umzudrehen, stürzten wir auf die Rolltreppe zu, mischten uns unter die irritiert blickenden Fahrgäste und verschwanden zwischen den grünen Reihen gusseiserner Säulen, die das riesige Glasdach des Bahnhofs stützten. Wir liefen hintereinander her, und mit etwas Glück würden uns die Leute für Reisende halten, die ihren Zug erreichen mussten, und nicht allzu sehr auf uns achten. Doch wir würden von den Raben nicht lange unbemerkt bleiben. Sophie sprang über einen Koffer, umrundete einen Pfeiler und rannte an einem Kiosk vorbei. Dann rutschte sie auf dem weißen Plastikboden aus, fing sich aber wieder, sprang auf die Rolltreppe und fasste mit der Hand nach dem Gummigeländer. Ich hatte Mühe, ihr zu folgen.
    »Machen Sie Platz!«, rief sie.
    Wir nahmen immer zwei Stufen auf einmal. Badji hielt mich an der Hüfte fest und schien zu befürchten, dass ich hinfallen könnte. Die Leute gingen uns aus dem Weg, und beobachteten staunend, wie wir die Treppe hinunterstürzten. Noch wussten wir nicht, ob die Raben uns gefolgt waren, aber wenn sie uns schon entdeckt hatten, würden sie bald oben an der Rolltreppe auftauchen. Wir durften keine Sekunde verlieren.
    Nachdem wir am Ende der Rolltreppe angelangt waren, wandte sich Sophie nach Badji um und riss fragend die Augen auf. Er deutete mit dem Finger auf einen der weißen Gänge, die zur S-Bahn führten.
    »Die Treppen, dort!«, raunte er.
    Wir rannten weiter und mobilisierten alle Kraft, die wir hatten. Unsere Schritte hallten in dem langen, unterirdischen Gang von den Wänden wider. Mir ging allmählich die Luft aus, als wir auf der anderen Treppe wieder zu den Bahnsteigen hinauf eilten. Mit diesem Manöver waren wir ein großes Risiko eingegangen, denn wenn uns die Raben nicht gefolgt waren, würden wir ihnen jetzt direkt in die Arme laufen.
    »Schnell! Gehen Sie hinauf! Immer an der Mauer entlang!«, befahl Badji.
    Und wenn sie uns doch gefolgt waren, durften sie auf keinen Fall mitbekommen, dass wir nun wieder nach oben stiegen. Sophie tat, was Badji uns zugerufen hatte, und ich folgte ihr. Mein Herz schlug wie wild. Ich spürte, wie Schweißperlen über meine Schläfen und in meinen Nacken liefen. Die letzten Stufen waren die schwierigsten, als sich Erschöpfung und Angst in mir breit machten. Sophie war als Erste oben. Ich sah, wie sie sich mehrere Male nach unseren Verfolgern umdrehte. Aber Badji ließ uns keine Sekunde Zeit.
    »Wir müssen zu den Schaltern rüber. Gehen Sie rasch, aber rennen Sie nicht mehr. Wir dürfen keine Aufmerksamkeit erregen. Bewegen Sie sich so unauffällig wie möglich, ich werde mich umsehen, ob wir sie täuschen konnten. Kaufen Sie die Fahrkarten. Wir treffen uns an der Treppe, die zur Abfahrt des Eurostars führt.«
    Ich zögerte kurz, denn ich verspürte wirklich keine große Lust, mich von dem schwarzen Riesen zu trennen, aber

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