Das Jesusfragment
historique von 1928 über die Geschenke der Abgesandten von Harun al-Rashid auf den Stein von Iorden. Und letztlich beweist das Dokument Ihres Vaters, dass Karl der Große ihn besaß.«
»Bravo! Endet hier Dürers Text?«
»Keineswegs. Erinnern Sie sich: Der Text, den Ihr Vater gefunden hatte, bewies, dass Karl der Große den Stein seinem Berater Alkuin geschenkt hatte.«
Jedes Mal, wenn Sophie mir einen ihrer kleinen Vorträge hielt, fühlte ich mich völlig ungebildet. Ich schämte mich auch dieses Mal sehr, aber sie amüsierte sich königlich darüber. Und ich bemerkte, dass Badji neben mir interessiert unserer Unterhaltung gelauscht hatte. Auch er schien die Geschichte faszinierend zu finden.
»… Alkuin war ein angelsächsischer Theologe, der die Domschule von York leitete. Als Autor und genialer Denker gehörte er zu den führenden Köpfen der christlichen Kultur Englands. Karl der Große ließ ihn in sein fränkisches Reich kommen und übertrug ihm die Leitung der kaiserlichen Hofschule in Aachen. Die beiden Männer müssen sich prächtig verstanden haben. Alkuin begründete die Bildungspolitik Karls des Großen und leitete jene Bewegung ein, die von den Historikern ›karolingische Renaissance‹ genannt wird. Er wird der engste Berater des Kaisers, und als sich Alkuin 796 in die Abtei Saint-Martin in Tours zurückzieht, überhäuft ihn Karl der Große mit prachtvollen Geschenken, unter denen sich der berühmte Stein befindet. Den Beweis dafür liefert insbesondere der Text, den Ihr Vater gefunden und mir gefaxt hatte. Man vermutet, dass Alkuin den Stein vor seinem Tod im Jahre 804 den Mönchen der Abtei vermacht hat, vermutlich den Schreibern des Skriptoriums. Im neunten Jahrhundert wurde die Abtei von den Normannen geplündert. Und hier verliert sich die Spur des Steins von Iorden. Ihr Vater hat gründlich geforscht, hat aber offensichtlich nichts gefunden. Ich habe auch ein paar Recherchen angestellt, aber fast drei Jahrhunderte lang gibt es keine Hinweise auf den Stein, bis er 1130 wieder auftaucht. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich im Besitz des heiligen Bernhard, der 1115 das Kloster von Clairvaux gründete und dessen erster Abt wurde. Der heilige Bernhard, ein wichtiger Vertreter des Christentums, mischte sich unter der Regentschaft Ludwig VI. und seinem Sohn, Ludwig VII., tüchtig in die Staatsgeschäfte ein. Er hatte auch keine Scheu, die Päpste zu beraten oder zu kritisieren. Aber uns interessiert vor allem seine Verbindung zu den Templern.«
»Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass der Stein von Iorden sogar etwas mit dem Templerorden zu tun hatte?«, unterbrach ich sie ungläubig.
»Wer hätte denn einen solch heiligen Schatz besser aufbewahren können, als die Hüter des Grabes Christi? Aber so weit sind wir noch nicht. Eins nach dem anderen. Ende des elften Jahrhunderts waren die Beziehungen zwischen Franken und Arabern keineswegs mehr so gut wie zur Zeit Karls des Großen. 1095 rief Papst Urban II. zum ersten Kreuzzug auf. Das ist erst der Beginn der Feindschaft. Die Kreuzritter zogen nach Konstantinopel, dann nach Syrien und nahmen Antiochien ein.«
»Wahrhaftig …«
»Im Jahre 1099 eroberten sie Jerusalem. Nach und nach entstanden die vier lateinischen Staaten, die Grafschaft Edessa, das Fürstentum Antiochien, die Grafschaft Tripolis und schließlich das Königreich Jerusalem. Der christliche Westen entwickelte sich inmitten eines von Arabern besetzten Gebiets. Die Pilgerfahrten begannen, waren aber gefährlich, und deshalb beschloss zu Beginn des zwölften Jahrhunderts ein Kreuzfahrer namens Hugo von Payens, eine Schutzmacht für jene aufzustellen, die auf den Spuren Christi nach Jerusalem kamen.«
»Den Templerorden.«
»Genau. Aber damals hieß er noch nicht so. Zu Beginn nannte man sie Ritter Christi, und in der vollständigen Version Paupere Militie Christi, die Armen Ritter Christi. Das war um das Jahr 1120. Der Orden war bereits religiös geprägt, hatte aber noch keine Charta. Es gab Probleme, weil der Ritterstatus mit dem des Mönchs unvereinbar war. Anfangs stand Bernhard von Clairvaux, der, wie gesagt, ein sehr einflussreicher Kleriker war, dieser Miliz eher feindlich gegenüber. Aber eine Begegnung mit Hugo von Payens überzeugte ihn von der Lauterkeit seiner Absichten und vor allem von der Notwendigkeit der berühmten Ritter Christi. 1129, auf dem Konzil von Troyes, an dem der heilige Bernhard teilnahm, wurden die Ordensregeln für die Templer festgelegt. Und
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