Das Joshua Gen (German Edition)
Warum darf es nichts trinken? Was ist mit ihr?«, fragte er aufgeregt.
»Wer ist mit ihr, das solltest du fragen ... Bringt mir Licht!« Der Kardinal winkte eine Wache heran. Er nahm die Fackel entgegen und hielt sie vor die offene Klappe in der Wand des großen Wagens. »Sieh hinein, junger Jacobus. Und lerne.«
»Da ist nur ein Mädchen, Onkel.«
»Was siehst du noch?«
»Es ist nackt. Es steht bis zum Bauch in einem Fass ...«
»Voller Salz.«
»Da sind Ketten um Hals und Handgelenke ...«
Der Kardinal nickte. »Aus kalt geschmiedetem Eisen.«
»Warum steht das Mädchen mit dem Rücken zu uns?«
»Damit es nicht in uns liest. Durch unsere Augen blickt es in unsere Seelen, Jacobus, und sucht dort nach einem Platz für sich, denn es ist ein Dämon!«
Der Neffe des Kardinals war ganz fahl geworden. »Du siehst ein Mädchen, aber es ist kein Mädchen«, flüsterte er.
Sein Onkel lachte. »Die erste Lektion hast du schnell gelernt! Lassen wir sogleich die zweite folgen. Komm mit mir.« Der Kardinal eilte zum Tor des Wehrturmes. »Wir müssen nun tief unter die Burg, Jacobus, nimm dir auch eine Fackel!«
Die Wachen öffneten ihnen den Eingang zum Turm.
Ein Soldat begleitete den Kardinal und seinen Neffen hinein. Innen teilte ein hohes Gitter den Raum. Dahinter sah Jacobus zwei steinerne Treppen. Eine führte hinauf, die andere hinab. Der Soldat schloss das Gitter auf und wollte mit einer Fackel vorausgehen.
»Nein, Ihr wartet hier. Ich kenne den Weg gut«, erklärte der Kardinal rasch und schritt schon die breiten Stufen hinunter. »Du musst achtgeben, Neffe, es ist feucht hier unten und die Steine sind glatt.«
Jacobus folgte dem Onkel. »Wie kam dieses Mädchen in den Wagen? Ich sah nur eine winzige Klappe.«
»Als wir es in dem Fass hatten, bauten wir den Wagen darum herum. Keiner sollte daran eine Tür zum Öffnen finden, wenn ihn das Mädchen beeinflusst ...«
»Welcher Dämon ist in dem Mädchen?«
»Ein alter und raffinierter. Immerzu wechselte er die Körper. Wir mussten seine Sinne blenden, ihm Verlockendes anbieten, einen unwiderstehlichen Köder, um ihn zu binden.«
»Ein junges Mädchen ...«
»Keine angenehme Tat, doch eine notwendige. Nur wenn er in einem Körper ist, kannst du den Dämon auf immer und ewig vernichten, Junge.«
Jacobus fröstelte es vor der nächsten Frage. »Wie vernichtet man ihn?«
»Man hüllt ihn ein in das Tuch, das gefärbt ist mit dem Blute Jesu.«
Der Neffe des Kardinals hielt inne. »Das Grabtuch war doch verschollen ... Ist es etwa hier? Ist es das echte Tuch?!«
Sein Onkel nickte. »Wir prüften es drei Dutzend mal.«
»Kann ich es sehen? Bitte!«
»Erst nach der zweiten Lektion.« Der Kardinal bog in einen weiteren Gang ein. »Sie befindet sich hinter der Tür da. Hier ist der Schlüssel.«
Jacobus nahm ihn mit zitternder Hand. »Onkel, sagt mir, was erwartet mich dort?«
»Die Fußstapfen deines verstorbenen Vaters. Es hätte ihn mit großem Stolz erfüllt, würdest du sie zu deinen machen.«
»Er war ein guter Exorzist, nicht wahr ...?«
»Ein sehr guter, ja.« Der Gesandte des Vatikans umarmte den jungen Priesterschüler. »Und nun geh, Jacobus, geh und übe Furchtlosigkeit und Gottvertrauen.«
»Wartet Ihr nicht hier, Onkel?«
»Ich habe den Herren der Burg ein Angebot des Vatikans zu unterbreiten, danach komme ich zurück.« Der Kardinal ging mit raschen Schritten davon. Sein Gewand leuchtete unter der Fackel wie Blut.
»Welches Angebot?«, folgte ihm Jacobus’ Stimme nach.
»Der Heilige Vater wünscht, dass das Grabtuch seinen Platz in Rom findet ...«
Sein Onkel entschwand um eine Ecke des in den Burgfelsen geschlagenen Labyrinths. Jacobus stand allein in dem stillen Gang. Die Tür vor ihm war aus dicken Bohlen gefertigt und trug einen Fünfstern zur Abwehr von Dämonen. »Deine fünf Ecken sind die fünf Wunden Christi«, murmelte Jacobus sich Mut machend zu und schloss die Tür auf.
Es stank nach verbranntem Fleisch.
Er hielt seine Fackel fester und ging voran.
Eine Höhle tat sich vor Jacobus auf. Von ihrer hohen Decke wuchsen Tropfsteine herunter, glitzernd im Lichte der Fackel. Und am Boden der Höhle standen Fässer. In dem Salz darin steckte das, was den üblen Gestank verbreitete. Jacobus musste würgen. Es waren Menschen, verschrumpelt und schwarz wie Dörrobst. Er betete. Dann sah er wieder hin, sah von Qualen verzerrte Gesichter, aufgerissene Augen, schreiende Münder, im Tode erstarrt. Er zählte die Fässer. Drei
Weitere Kostenlose Bücher