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Das Joshua Gen (German Edition)

Das Joshua Gen (German Edition)

Titel: Das Joshua Gen (German Edition)
Autoren: Andreas Krusch
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und blätterte darin.
    »Warum geben die Ihnen keinen Stuhl?«, fragte Vince.
    »Man will unsere Zusammenarbeit nicht«, antwortete sie und blätterte weiter in ihren Notizen. Er sah, dass der Block schon bis zur Hälfte beschrieben war.
    »Was steht da drin?«
    »Ihre Geschichte, Vince, Ihre Erinnerungen. Sie erzählen sie mir seit Wochen.« Sie zeigte ihm eine der Seiten.
    »Meine Geschichte?«
    Er blickte erstaunt auf das unleserliche Gekritzel. »Welche Geschichte soll denn das sein?«
    »Wie Sie die junge Frau ohne Namen kennenlernen, wie Sie mit ihr Hals über Kopf aus ihrer Wohnung in Queens fliehen, der Vormittag mit Max, und so weiter ... bis zum Heben eines Autowracks nachts aus dem East River.«
    Etwas dämmerte ihm, langsam kehrte das Wissen zurück. Nur warum hatte er es vergessen? Es mussten diese verdammten Medikamente sein, die sie ihm hier verpassten! Sie wirbelten einem den Verstand so durcheinander, bis er nur noch weißer warmer Nebel war.
    »Hat man ihn ... hat man Stan schon gefunden?«
    »Nein. Der Leichnam von Stanley Woolrich konnte bis zum heutigen Tage nicht gefunden werden.«
    Er kämpfte gegen aufsteigende Tränen an, erinnerte sich wieder an die stummen Bilder aus dem Fernseher, erinnerte sich an Nona, davor sitzend in dem Wohnzimmer des alten Freundes. Und er erinnerte sich an das, was danach geschehen war.

    Das alte Foto war das einzige, was er aus Stanleys Haus mitgenommen hatte. Wieder griff er in seine Jackentasche, zog es rasch hervor, blickte darauf, als müsse er sich vergewissern, dass es noch da war.
    Nona beobachtete ihn während sie nebeneinander durch die nächtlichen Straßen gingen. Sie brach das Schweigen. »Was ist auf dem Foto, Vince?«
    Er zögerte, holte es dann doch aus der Jacke. »Eine Familie«, sagte er schließlich und gab es ihr. Sie betrachtete das Foto, sie sah Menschen bei einem Picknick. Glückliche Menschen. Einer davon war Vince.
    »Stanley nahm es ein Jahr vor Paulines Tod auf. Wir saßen zu dritt im Garten auf einer Decke unter dem alten Pflaumenbaum. Es war Spätsommer, und der Baum war voller reifer Früchte, sie fielen mitten in unser Picknick. Stan versuchte, die Pflaumen mit seinem Mund aufzufangen. Pauline hat so gelacht ...«
    »Vielleicht lebt er noch.«
    Ihre Worte rissen ihn zurück in die kalte Märznacht.
    Nona war stehengeblieben.
    »In den Nachrichten wurde nichts von einem Toten erwähnt«, fuhr sie fort, »vielleicht konnte Stanley sich irgendwie aus dem Auto retten.«
    Der Kummer um den alten Freund überwältigte ihn. Er entriss ihr das Foto, ging vor ihr auf und ab, sprach laut vor sich hin. »Sie glaubt, er lebt noch. Sie glaubt, er lebt noch.« Er rief es den entgegenkommenden Passanten zu. »Sie glaubt, er lebt noch – ausgerechnet sie!«
    »Vince, ich wollte doch nur –«
    Sein Gesicht war plötzlich direkt vor ihrem. »Wollen Sie wissen, was ich glaube?!« Er schrie es fast in sie hinein. »Überall, wo Sie auftauchen, sterben die Menschen!«
    Sie duckte sich unter den letzten Worten wie unter Schlägen. Alles in ihr schien zusammenzubrechen. Er konnte es ihrem Gesicht ansehen, ihren Augen. Eine Weile standen sie einander so gegenüber mitten auf dem Bürgersteig. Aus einem Auto rief jemand etwas: Schenk ihr ’ne Rose, Mann! Über die Wangen der jungen Frau liefen Tränen. Vince wandte sich ab. Er ging. Ihre Worte holten ihn ein.
    »Ich hab mal eine Kamera geklaut.«
    Er drehte sich halb zu ihr um.
    »Sie lag auf einer Parkbank, jemand hatte sie dort vergessen, da habe ich sie genommen ... Das ist das einzige, woran ich schuld bin, eine gestohlene Kamera! Das ist meine einzige Schuld, Vince! Ich habe Ihren Freund nicht getötet, genauso wenig die Typen in meiner Wohnung! Und ich wollte auch nicht entführt werden, verflucht!« Sie ging zu ihm. »Ich weiß nicht, warum all das geschieht, ich weiß es doch nicht.« Sie kam ganz nah, lehnte sich an ihn, weinte still. Von irgendwo her kam Beifall. Und ein Ruf: Jetzt umarm sie endlich, Mann! Vince konnte es nicht.
    Nona löste sich schließlich von ihm. »Wir erregen hier zu viel Aufmerksamkeit. Besser, wir verschwinden.« Rasch ging sie voraus.
    Er folgte ihr in eine dunkle Seitenstraße. Sein Taxi hatten sie drei Blocks vorher stehenlassen. Der Tank war leer. Vince ging schneller, er fühlte sich unbehaglich. Nur eine einsame Straßenlaterne gab noch Licht. In umgestürzten Mülltonnen raschelten Ratten.
    »Wie tief rein in die Bronx wollen Sie denn noch?«
    »Bis
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