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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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tauchte ein Stück Schnur in das Wachs, hob es hoch, ließ das Wachs trocknen und tauchte es dann wieder ein. Immer wieder. Die Schnur wurde immer dicker von dem cremigen Wachs. Der Geruch von geschmolzenem Wachs
war gar nicht so schlecht - es duftete nach Honig -, doch Petra wurde davon übel. Der Arm wurde müde, der Rücken steif und sie schwitzte in dieser Kombination von spätsommerlicher Wärme und Feuer.
    Als sich nur noch eine fingerdicke Schicht Wachs auf dem Boden des Topfs befand, stellte Dita ihn beiseite, um damit Gefäße zu versiegeln.An diesem Abend ließ sie Petra ein Glas warme Milch mit Ringelblume trinken. Am nächsten Abend war es kühles violettes Wasser. Petra fand, dass Ditas Mischungen gut schmeckten, doch sie halfen ihr nicht, besser zu schlafen. Daher weigerte sie sich auch, als ihr Dita einen gekochten Weidenzweig zum Kauen geben wollte.
    An einem Abend schaffte es Petra, für ein paar Minuten wegzudösen, und als sie wieder aufwachte, merkte sie, dass Astrophil verschwunden war. Sie ging über den Flur zur Bibliothek ihres Vaters mit ihren ungleichmäßigen Wänden, schiefen Ecken und den vollgestopften Regalen, doch sie fand die Spinne nicht. Daher schlich sie ins Erdgeschoss hinunter, indem sie sich auf der dunklen Treppe vorsichtig nach unten tastete, bis sie das beständige Summen und Rasseln des Ladens erreichte. Die Tiere quietschten erfreut auf, doch sie beachtete sie gar nicht, sondern öffnete die Tür zum Zimmer ihres Vaters einen Spalt. Dort war es stockfinster.
    »Astrophil?«, flüsterte sie und wünschte, sie könnte sich mit ihm schweigend unterhalten, wie das ihrem Vater möglich war. Im Laufe der Jahre hatte sie das oft versucht, doch Astrophil lachte einfach nur, wenn sie ihr Gesicht als Ausdruck
höchster Konzentration verzog. »Seid ihr da? Astrophil? Vater?«
    »Ja?«, fragte Astrophil.
    »Ja?«, fragte der Mann.
    »Hält dich das Geräusch aus dem Laden vom Schlafen ab,Vater?«
    »Nein«, antwortete er. Sie wünschte, sie könnte sein Gesicht sehen. »Ich freue mich über das Geräusch.«
    Dann fiel ihr etwas ein und sie hätte sich selbst dafür ohrfeigen können, dass sie nicht schon früher darauf gekommen war. »Warum kaufe ich eigentlich nicht eins von Meister Stakans Sorgenfläschchen?«
    Er schien zu lächeln. »Was hältst du davon, gleich zwei zu kaufen?«
     
     
    Am nächsten Morgen ging Petra nach oben in die Bibliothek, ein paar Kronen zu holen, um Meister Stakan zu bezahlen. Sie hüpfte jede Stufe einzeln hoch.
    Die Bibliothek war mit Bücherregalen bestückt, die viel höher waren als Petra. Vor Jahren hatte Meister Kronos eine Leiter konstruiert, die in der Luft schwebte. Damit sie funktionierte, musste man mit dem Finger schnippen, und wie ein gehorsamer (wenn auch langsamer) Hund glitt sie dann an die Stelle, auf die man zeigte. Als Petra ihn gefragt hatte, wie er die gemacht habe, hatte er eher ausweichend geantwortet: »Du musst die Gefühle der Magneten verstehen. Magnete sind sehr anhänglich, doch sie können auch störrisch sein, wenn du sie beleidigst, daher war das Bauen der Leiter mehr wie das Schließen einer Freundschaft.«
Und daran mochte es wohl liegen, dass die Leiter ihrem Vater viel schneller gehorchte als irgendjemandem sonst.
    Als Petra in die Bibliothek kam, schnipste sie mit den Fingern und zeigte auf die linke Ecke, wo eine Bücherwand auf die andere stieß. Sie stieg die Sprossen empor und entdeckte dabei einen vertrockneten Apfelbutzen, den ihr Vater vor mehr als einem halben Jahr auf dem vierten Regalbrett liegen gelassen hatte. Als sie dann das oberste Brett erreichte, schob sie ein Buch zur Seite, in dem stand, wie man einen Springbrunnen baut.
    Aus der Wand heraus wuchs ein Löwenzahn. Er hatte eine flauschige weiße Kugel, so eine, in die man bläst und dann sehen kann, wie jeder Samen von kleinen weißen Flügeln davongetragen wird. Doch der Flaum dieses Löwenzahns bestand in Wirklichkeit aus feinen Silberfäden. Petra beugte sich vor und blies dreimal auf die Blume, zweimal lange und einmal kurz. Der Flaum löste sich sanft auf und die Samen trieben davon. Sie senkten sich in Löcher im Holzfußboden, die so klein waren, dass Petra sie nicht sehen konnte, doch ihr Vater hatte ihr versichert, sie wären da. Dann gab es ein Gesäusel, ein Fußbodenbrett glitt zur Seite und legte einen Haufen Kronen und kleinere Stapel mit ausländischen Münzen frei. Petra zählte so viele ab, wie sie brauchte, um Meister Stakan für

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