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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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Wetter beherrscht … das ist ein schwieriger Auftrag, um es mal vorsichtig auszudrücken. Für die meisten Menschen zeigt die neue Uhr am Staroplatz einfach nur die Zeit an.«
    »Also kann sie nicht das Wetter bestimmen?«, fragte Petra ziemlich erleichtert.
    »Sie kann es tatsächlich. Oder eigentlich könnte sie es.«
    »Aber Vater …« Sie hasste es, das auszusprechen, doch sie zwang sich dazu: »Meinst du nicht, dass der Prinz die Uhr vielleicht gar nicht dazu benutzt, um jedes Jahr eine wunderbare Ernte zu sichern? Was ist, wenn er genau das Gegenteil macht?«
    »Der Gedanke ist mir auch schon gekommen.« Seine Finger strichen über sein Gesicht und berührten den Verband. »Hinterher. Aber Petra, der Prinz kann mit Missernten nichts gewinnen. Der Wohlstand seines Landes beruht auf der Erzeugung von Raps.
    Und der Prinz verlässt sich zu sehr auf seine eigene
Klugheit. Die Fähigkeit der Uhr, das Wetter zu kontrollieren, hängt an einem letzten Teil, das immer noch zusammengesetzt und eingebaut werden muss. Dieses Teil ist wie ein Rätsel, doch kein normaler Mensch kann es lösen. Dieses Teil zusammenzusetzen, verlangt mehr als Intelligenz - es verlangt Intuition und die Kraft, die Metallstücke so zu sehen, wie ich das kann. Will Prinz Rodolfo beweisen, dass er über all das verfügt? Will dieser Achtzehnjährige seine älteren Brüder in den Schatten stellen? Natürlich will er das. Blind wie ich jetzt bin, kann ich gar nicht glauben, wie blind ich zuvor diesen Tatsachen gegenüber war. Ich selbst werde diese Uhr fertigstellen, hat der Prinz zu mir gesagt. Ich respektiere Euer Talent. Ich bewundere, wie Ihr die Welt seht. Ihr habt ein Auge für Schönheit. Doch Ihr seid nicht länger erforderlich.
    Ich muss einfach daran glauben, Petra, dass das, was er sagt, nicht stimmt. Prinz Rodolfo hat mir meine Augen gestohlen, aber er ist nicht ich. Die Uhr könnte so laufen, dass sie das Wetter bestimmt, Petra, doch der Prinz wird nicht begreifen, wie er sie zum Laufen bringt.«

Was die Spinne sagt
    IN DER folgenden Zeit konnte Petra nachts nur schwer schlafen. Wenn sie nicht darüber nachdachte, was der Prinz mit der Uhr anstellen konnte, überlegte sie, warum ihr Vater so sicher war, dass sie nicht zum Steuern des Wetters genutzt werden konnte. Auch wenn sie den nächsten Besuch Meister Stakans bei ihnen im »Haus zum Kompass« nicht ungeduldig erwartete, machte sie sich doch Sorgen, ob ihre Idee funktionieren würde. Jede Nacht zerwühlte sie ihre warmen Betttücher und fürchtete, es würde niemals Morgen werden.
    »Das Leben ist ohne Schlaf sowieso viel interessanter«, versicherte Astrophil.
    Sie stöhnte. »Du weißt nur nicht, was dir fehlt, du kaltherziges Wesen, das an Schlaflosigkeit leidet. Ich schon.«
    Doch Petra musste zugeben, dass sie in den Nächten auch Spaß hatte. Sie saß auf dem Fenstersims und ließ die Beine im Nachtwind baumeln, während Astrophil ihr die Sternbilder erklärte, ihr Kassiopeia im Lehnstuhl zeigte, den Gürtel des Jägers Orion und wie sie den Nordstern finden konnte. Sie dagegen brachte ihm bei, wie man Karten
spielte. Da Astrophil seine Karten nicht besonders gut halten konnte (es hat schon seinen Grund, dass ausgeteilte Karten als »Hand« bezeichnet werden), gab Petra sie der Spinne mit fest geschlossenen Augen und so, dass die Karten mit dem Bild nach oben auf dem Boden lagen. Doch letztlich sah sie sie doch, selbst wenn sie das gar nicht gewollte hatte. So waren das keine eigentlichen Partien, sondern Unterrichtsstunden, in denen Petra der Spinne die Feinheiten des Wettens und Täuschens beibrachte.
    Dita, die sich normalerweise über Petras Lust am Langschlafen beschwerte, betrachtete die eingesunkenen Augen ihrer jungen Cousine allmählich mit Sorge. Als Petra dann Dita eines Tages beim Entsteinen von Kirschen und Marmeladekochen half, reichte sie ihr versehentlich Salz statt Zucker. Die ganze Marmelade war verdorben. Sie füllten sie trotzdem in ein Gefäß, um sie später zu essen, denn Dita hasste jegliche Verschwendung. Petra verabscheute die Vorstellung von salziger Kirschmarmelade, doch jeder hat nun mal seine eigenen Prioritäten.
    So kam es, dass Dita, nachdem sie eine kleine Armee von Kerzenstummeln unter Petras Bett gefunden hatte, mit dem Mädchen wegen ihrer Verschwendung schimpfte und ihr befahl, neue Kerzen zu ziehen, was eine sehr langweilige Arbeit ist. Petra saß neben dem Küchenfeuer, wo ein kleiner Topf mit geschmolzenem Bienenwachs simmerte. Sie

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