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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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»Jedenfalls«, fuhr sie fort, »jedes Tier hat eine andere Persönlichkeit. Ist es nicht möglich, dass das, was du magst, und die Art, wie du dich benimmst, sich ganz natürlich entwickelt haben?«
    »Möglich. Aber ich weiß nicht, ob der Begriff ›Natur‹ in meinem Fall angebracht ist.« Die Spinne schwenkte ein Vorderbein und wies damit diese Theorie zurück. »Aber hören wir auf, über mich zu reden. Sprechen wir über eine Sache, in der wir beide übereinstimmen: Dein Vater hält sehr viel vom Lernen und Studieren.
    Vielleicht war Meister Kronos an diesem Projekt einfach nur interessiert. Das sähe ihm sehr ähnlich. Aber könnte es nicht sein, dass er auch noch ganz andere Gründe dafür hatte, die Uhr zu bauen? Was wäre, wenn der Prinz deinem Vater mehr als nur Geld angeboten hätte? Etwas, das Meister Kronos sich niemals hätte leisten können, und selbst wenn er es sich leisten gekonnt hätte, es wegen seiner Stellung im Leben niemals hätte verwirklichen können? Er ist bloß ein Kunsthandwerker. Ein sehr begabter natürlich und deshalb recht gut dran, doch er gehört nicht zu den Herren.«
    »Astrophil, ich glaube nicht …«
    »Natürlich glaubst du das. Weil ganz klar ist, dass der Prinz deinem Vater einen Platz an der Akademie angeboten hat. Für dich. Meister Kronos hat gesagt, der Prinz würde ihn in ein paar Jahren bezahlen. In zwei Jahren wirst du vierzehn.«

    »Aber da würde ich nie und nimmer hingehen!« Petra schlug mit der Hand auf das Fensterbrett. »Wie kommst du auf die Idee, ich würde mich fortschicken lassen, um jahrelang in einem feuchtkalten steinernen Kasten festzusitzen, der mit widerwärtigen reichen Bälgern vollgestopft ist, die ihre magischen Kräfte entwickeln sollen? Da würde ich nichts lernen, was Vater mir nicht auch selbst beibringen könnte.«
    »Vielleicht.Vielleicht auch nicht. Er hat sich alles selbst beigebracht. Wer weiß, welche Fähigkeiten er hätte, wenn er ausgebildet worden wäre?«
    »Also, wer weiß denn schon, ob ich überhaupt irgendwelche Fähigkeiten habe? Und das wäre für mich auch vollkommen in Ordnung«, polterte sie.
    »Man kann sich nur schwer vorstellen, dass du bei den Fähigkeiten deiner Eltern keinerlei Begabung hättest. Und wenn du begabt bist, ist es sehr gut möglich, dass deine Art der Magie ganz anders ist als die deines Vaters, und in diesem Falle wäre es ihm gar nicht möglich, dir dabei zu helfen, sie zu entwickeln.«
    Alles, was Astrophil sagte, hatte Hand und Fuß, und das machte sie ganz krank. Es stimmte, sie hatte sich immer danach gesehnt, sich mit Astrophil allein durch Gedankenkraft unterhalten zu können. Aber nun warnte sie eine verhaltene Angst tief in ihrem Inneren, dass sie vielleicht gar nicht wünschen sollte, über die Fähigkeiten ihres Vaters zu verfügen. Sie war für die Auswirkungen vielleicht noch gar nicht bereit. Besonders jetzt nicht, wo sie eine der Folgen davon vor Augen hatte. Sie dachte über das nach, was die
Spinne gesagt hatte: Es ist sehr gut möglich, dass deine Art der Magie ganz anders ist als die deines Vaters. Was Astrophil nicht gesagt hatte, war, dass das auch bedeuten könnte, dass sie die magischen Kräfte ihrer Mutter geerbt hatte, nämlich in die Zukunft blicken zu können. Eine Begabung, die sie niemals hatte besitzen wollen.
    Eine große Erschöpfung überkam sie. Meister Stakans Sorgenfläschchen fiel ihr ein. »Ich muss schlafen, Astrophil.«
    »Na ja, wenn du musst.«
    Sie ging durch das Zimmer und ergriff das Fläschchen. Mit beiden Händen umfasste sie seine gewölbten Seiten und kletterte ins Bett. Entsprechend Meister Stakans Anweisungen legte sie ihren Mund an die Öffnung des Flaschenhalses und fing an zu flüstern. Als ihre gedämpften Worte in die Flasche flossen, glühte das Glas erst grün, dann braun und schließlich violett. Schließlich griff Petra nach dem Korken, drückte ihn hinein und verschloss damit das Fläschchen. Die Farben im Inneren des Glases veränderten sich weiter, doch dann beruhigten sie sich zu einem tiefen Lila in der Farbe eines Blutergusses.
    Petra legte sich in die Kissen zurück. Endlich hatte sie wieder einen klaren Kopf. Sie schloss die Augen, und noch ehe sie in den Schlaf glitt, kam ihr eine neue Idee.

Ein plötzlicher Sturm
    WAS WILLST du machen?« Tomik starrte sie an.
    »Das ist gar kein so schlechter Plan«, protestierte Petra.
    »Du willst nach Prag gehen, dich in die Salamanderburg einschleichen und die Augen deines Vaters

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