Das Kabinett der Wunder
bald gelingen wird.«
»Ich hab keine Angst, Tomas. Ich weiß, du schaffst das. Ich danke dir.«
Meister Stakan schüttelte den Kopf. »Der hat aber wirklich eine schwarze Seele, der Prinz. Dich so nach Hause zu schicken, ohne eine Krone in der Tasche.«
»Der Prinz hat versprochen, mich in ein paar Jahren zu bezahlen.«
Meister Stakan schnaubte. »Bis dahin ist es noch lang.« Dann verabschiedete er sich ziemlich schnell. Petra brachte ihn und Tomik zur Tür und drückte ihrem Freund kurz die Hand, ehe er und sein Vater das »Haus zum Kompass« verließen. Durch das Fenster beobachtete sie, wie Meister Stakan mit der Eile eines Menschen davonschritt, der vor seiner eigenen Niederlage flüchtet.
Er hatte etwas Unfertiges hinterlassen.
Petra fällte eine Entscheidung. Sie kehrte ins Zimmer ihres Vaters zurück. Wortlos (weil sie sich nichts zu sagen traute) und schnell (weil sie Angst davor hatte) ging sie auf das Bett zu.
Immer noch in seine Enttäuschung versunken, bemerkte Mikal Kronos nichts, bis die Finger seiner Tochter auf seinem Gesicht lagen. Er spürte, wie sie nach den Glasaugen griff und packte Petras Hände.
»Bitte nicht«, sagte er.
Petra zögerte.
»Hol Dita«, befahl er dann.
Petra stellte sich vor, was sie sehen würde: zwei widerliche Löcher, rot wie wundgescheuert, und eine grobe Naht, die das Fleisch zusammenhielt.
Die Stimme ihres Vaters wurde schroff. »Tu, was ich sage.«
Sie tat es.
Bald war Dita im Zimmer ihres Vaters. Die Verbände befanden sich wieder über Mikal Kronos’ Gesicht und die Glaskugeln in dem Lederbeutel auf dem wackligen Nachttisch aus Fichtenholz.
An diesem Abend schloss Petra ihre Zimmertür hinter sich mit Erleichterung, Schmerz, Mitleid und dem bohrenden Gefühl, dass sie etwas Wichtiges übersehen hatte, etwas, das nicht passte. Doch sie war so durcheinander, dass sie nicht herausbekam, was es war. Sie fühlte nur, wie durcheinander sie war.
Sie wollte eine Kerze anzünden, doch dann stellte sie sich Dita vor, die ihr eine Standpauke über das Übel der Verschwendung hielt. Sie beugte sich aus dem Fester und beobachtete, wie die Wolken immer wieder den jungen Mond verdeckten. Dann sagte sie zu Astrophil: »Ich verstehe da was nicht.«
»Dann sag schon.«
»Warum hat der Prinz ihm die Augen genommen, aber trotzdem versprochen, ihn zu bezahlen? Wenn er Vater so etwas antun kann, ohne dass das irgendjemanden interessiert, muss er ihn doch auch nicht nach Hause schicken oder ihn bezahlen.«
»Vielleicht stimmt es ja, was dein Vater gesagt hat.Vielleicht respektiert der Prinz ihn.«
»Das ist dann aber eine komische Art, es zu zeigen.«
»Es gibt Hinweise darauf, dass der Prinz eine sehr eigenartige Person ist.« Die Spinne zuckte mit ein paar Beinen,
die im Mondlicht glänzten. »Für deinen Vater hatte das Lernen schon immer einen hohen Stellenwert.«
Petra runzelte die Stirn. »Was hat das damit zu tun?«
»Nimm mich zum Beispiel. Ich bin eine sehr wissbegierige Spinne.«
»Na, und wenn schon?«
»Ich lese gerne die ganze Nacht durch. Ich habe fremde Sprachen gelernt. Ich hoffe jetzt, mir eines Tages das Schreiben beizubringen. Ich versuche, neue Dinge zu entdecken, selbst dann, wenn mich das, wie du es nennst, neugierig erscheinen lässt.«
»Sicher. Als ich jung war, hab ich auch Lesen gelernt. Ich bin nicht genauso erpicht darauf wie du, jedes muffige Buch unter der Sonne zu lesen, aber es ist nur natürlich, dass du ganz schön weit für dein Alter bist. Schließlich gehörst du mir.«
»Und dein Vater hat mich geschaffen. Glaubst du nicht«, fuhr er langsam fort, »dass hinter meinem Interesse am Lernen ein ganz besonderer Grund steckt?« Wenn Spinnen mit den Schultern zucken könnten, hätte Astrophil das jetzt getan. »Sehen wir uns die Fakten an. Ich bin aus einem Metall gemacht worden, das man Zinn nennt. Es ist außergewöhnlich, dass ich gerne wüsste, wie viele Wörter genau mit › Z‹ anfangen, während Jaspar - der als ein späteres Modell und kompliziertes Tier eigentlich viel »weiterentwickelter« sein müsste - in Meister Stakans Laden herumfaulenzt und sogar schläft. Doch letztlich bin ich eine Konstruktion. Ich bin so, wie dein Vater mich gemacht hat, und er hat mich für dich gemacht - wie du schon erwähnt hast.«
»Astrophil, du gehörst nicht wirklich mir.Wenn du wolltest, könntest du einfach von hier weggehen.« Das sagte sie nur, weil sie genau wusste, dass die Spinne das niemals tun würde.
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