Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
ein Stockwerk, drei Schlafzimmer, ein großes Wohnzimmer, eine Küche – und überall hingen die Leitungen aus der Wand. Zumindest besaß das Haus fließendes Wasser; nur wenige Hundert Meter weiter, im Elendsviertel Postakacho gab es niemals Wasser. Die Frauen mussten jeden Tag zahlreiche Kilometer zurücklegen, im Winter bei eisiger Kälte, im Sommer bei glühender Hitze, um ihre Familien mit ein oder zwei Kanistern zu versorgen. Wenn Osama den Zug dieser Frauen sah, der jeden Tag ein wenig länger wurde, zog sich sein Herz zusammen.
Er legte seine Aktentasche auf dem Sofa ab und öffnete ein Fenster, um zu lüften. Die Teppiche aus Ziegenwolle auf dem Boden waren einfach, aber in gutem Zustand, er besaß mehrere Möbel, außerdem auch etliche handbemalte Schachteln für seine Wertgegenstände. Das Badezimmer verfügte – ein unerhörter Luxus – über einen alten russischen Boiler, der warmes Wasser lieferte. Allerdings hatte Osama nie genügend Geld zusammenkratzen können, um eine moderne Heizung einbauen zu lassen; sie mussten sich im Winter mit einem alten Ofen begnügen. Aus der Küche kamen Geräusche. Seine Frau war aus der Klinik zurückgekehrt. Sie betrat das Wohnzimmerin einem orangefarbenen Hausgewand, ihre langen roten Haare fielen ihr auf die Schultern; in der Hand hielt sie eine Zeitschrift – aus einem westlichen Land.
Malalai Kandar war Gynäkologin. Sie war unabhängig, emanzipiert und hatte liberale Ansichten. Ihr Medizinstudium hatte sie zum Großteil in Baku absolviert, noch zu Zeiten der Sowjetunion. Die afghanischen Moralvorschriften ertrug sie mehr schlecht als recht, ihre Aufgabe wurde insofern erleichtert, als sie ohnehin nur Frauen behandelte. Für die anderen Ärztinnen war das Leben unmöglich geworden: Sie durften keine Männer mehr behandeln und sich nicht gemeinsam mit männlichen Kollegen, Ärzten, Vorgesetzten oder Krankenpflegern in der Öffentlichkeit zeigen. Seit dem Abzug der Russen schloss sich die fundamentalistische Reuse immer enger um die Afghaninnen und verdammte sie zu einem Leben in absoluter Unterwürfigkeit.
»Wie war dein Tag?«, fragte sie.
»Interessant. Ich hab was ganz schön Seltsames erlebt.«
Obwohl sie schon dreißig Jahre verheiratet waren und zwei mittlerweile erwachsene Kinder hatten – das dritte war im Krieg gegen Russland umgekommen –, hielten sie so fest zusammen wie am ersten Tag. Osama hatte seine Frau niemals betrogen und auch nie daran gedacht, eine Jüngere zu heiraten. Das islamische Gesetz hätte ihm ermöglicht, bis zu vier Frauen zu heiraten, sofern er ihnen denselben Lebensstandard bieten konnte, doch Malalai hatte geschworen, ihm die Eier abzuschneiden, wenn er den Gedanken auch nur im Entferntesten in Erwägung ziehen sollte. Er hatte nicht weiter darauf bestanden. Mehrere seiner polygamen Kollegen machten sich hinter seinem Rücken über ihn und die Pseudoherrschaft lustig, die seine Frau in der Beziehung ausübte. Osama wusste, dass dies sein berufliches Ansehen schmälerte, doch er war glücklich mit seiner Situation, er brauchte keine vier Frauen.
»Erzählst du’s mir?«
Nach kurzem Zögern berichtete er ihr über den Selbstmord Wali Wadis, seine Zweifel, die Anwesenheit des Ministers und des Amerikaners von DynCorp.
»Khan Durrani ist ein Nichtsnutz«, sagte sie verächtlich, »ein bestechlicher Trottel. Er fraß den Russen aus der Hand, dann den Taliban, jetzt den UNO-Truppen. Wenn morgen die Marsmenschen landen, wird er ihnen Datteln verkaufen. Wegen Menschen wie ihm leben wir wieder wie im Mittelalter!«
»Er ist nicht schlimmer als viele andere!«
»Das glaubst du doch selber nicht!«
»Es wird ja besser. Präsident Karzai wurde trotz des Drucks von Seiten der Taliban wiedergewählt. Die Schulen sind wieder geöffnet, die Wirtschaft erholt sich.«
»Und immer jüngere Mädchen werden gezwungen, die Burka anzulegen …«, brachte Malalai den Satz zu Ende. »Solange die Russen da waren, konnte ich mich normal anziehen, mich in ein Café setzen, mit meinen Freundinnen ins Kino oder ins Restaurant gehen, mir diese idiotischen Zeitschriften kaufen, ohne mich verstecken zu müssen. Jetzt komme ich mir vor wie eine Gefangene. Diese Stadt wird jeden Tag ein wenig mehr zum Gefängnis.«
Seit seiner Wiederwahl spielte Präsident Karzai ein gefährliches Spiel. Er gab vor, die nationale Aussöhnung mit den Ex-Taliban herbeiführen zu wollen, ließ aber zu, dass sie unter der Hand immer größeren Einfluss auf den
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