Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
haben im Augenblick des Eingreifens dazwischengefunkt. Ein Anfängerfehler! Ihretwegen ist Werner nun tot!«
»Unsere Männer hätten das Feuer nicht ohne Vorwarnung zu eröffnen brauchen.«
»Ohne Vorwarnung? Sie träumen wohl? Es geht hier nicht um Vorwarnungen, wir sind doch keine Bullen, Snee. Wir sind Soldaten im Krieg, auch wenn wir in Zivil operieren.«
»Aber …«
»Wir werden den Angehörigen Ihres Kollegen mitteilen, dass er während einer Übung umgekommen ist. Werner war geschieden, er hatte keine Kinder. Es wird keine Untersuchung geben, und Sie werden gefälligst die Schnauze halten – das ist ein Befehl. Sollten Sie die geringsten Schwierigkeiten machen, sind Sie erledigt!«
Für den General hatte Werners Tod keine Bedeutung. Er war lediglich ein »Zwischenfall«. Nick versagte sich jeden Widerspruch und nickte stumm.
»Sagen Sie laut: ›Jawohl, Herr General!‹«, befahl sein Gesprächspartner mit fester Stimme.
»Jawohl, Herr General«, gab Nick mechanisch zurück. Großer Gott, weshalb stand er nicht einfach auf und sagte diesem Psychopathen einmal ordentlich seine Meinung? Nick verfluchte sich innerlich.
Plötzlich zeichnete sich ein Lächeln auf dem Gesicht des Generalsab. »Sie werden sehen, Snee, man lernt, solche Dinge zu vergessen. Im Krieg verliert man nun einmal Menschen. Das ist traurig, aber es ist die Realität. Wir arbeiten für die Zivilisation, wir halten westliche Werte hoch, es lohnt sich, dafür Risiken einzugehen. Und nun nennen Sie mir einen Grund, einen einzigen Grund, weshalb ich Sie nicht augenblicklich wegen Verletzung der Gehorsamspflicht aus der Firma entfernen lassen sollte.«
Nick fühlte sich von dem plötzlichen Richtungswechsel seines Chefs völlig überrumpelt. Der General hatte Werners Tod bereits unter »Gewinne und Verluste« verbucht.
»Ich kann Ihnen keinen Grund nennen. Ich habe getan, was ich für richtig hielt, und trage keinerlei Verantwortung an Werners Tod, auch wenn Sie das anders sehen. Ich hätte aber auch eine Frage. Suchen Sie zufällig ein Dokument mit dem Titel ›Akte Mandrake‹?«
Der General schnappte nach Luft.
»Was ist das für eine Frage? Wovon reden Sie?«
»Von dem hier.« Nick legte die CD-Hülle, die er in der Fabrik eingesteckt hatte, auf den Schreibtisch. Nach kurzem Zögern nahm der General sie in die Hand und sah Nick scharf an.
»Gehen Sie nach Hause, Snee.«
»Weiß man, was diese Akte Mandrake sein soll?«
»Nick, ich untersage Ihnen offiziell, über diese Sache auch nur ein Wort zu verlieren. Auch nicht gegenüber Ihren Kollegen in der Firma.«
Nick ahnte, dass er mehr wohl nicht erfahren würde. Er stand auf. Als er bereits an der Tür war, rief der General ihm nach: »Die Existenz dieses Dokuments steht unter strengster Geheimhaltung. Sogar sein Name ist ein Geheimnis. Haben wir uns verstanden?«
***
Nach einem unspektakulären Vormittag überreichte Gulbudin, der zweite Assistent Kommissar Kandars, seinem Vorgesetzten den ersten Entwurf eines Berichts über Wali Wadis Selbstmord. Der fünfundvierzigjährige Gulbudin war seit zehn Jahren Chefinspektor. Er hatte einen Fuß verloren, als er einige Jahre zuvor in den Bergen von Khawak auf eine russische Mine getreten war, bewegte sich aber sehr gewandt – dank einer Prothese, die er über ein von der UNO finanziertes Hilfsprogramm bekommen hatte. Außerdem hatte er bei der Explosion einer Granate ein Auge eingebüßt, als 1996 Massuds Truppen ein wahres Massaker bei der Bombardierung Kabuls anrichteten, worauf sie sich den Hass der Mehrheit der Bevölkerung zuzogen. Schwer verletzt, war er von Osama aufgelesen worden, der ihn trotz des Granatengewitters um sie herum selbst ins Krankenhaus gebracht hatte. Seither war Gulbudin dem Kommissar treu ergeben. Zumal er Hazara war und kein Paschtune.
Osama las den Bericht aufmerksam durch – er war perfekt. Er gab keiner Spur den Vorzug, ließ aber eben auch jede Deutungsmöglichkeit offen. Gulbudin konnte solche Berichte schreiben wie kein Zweiter. Osama, der sich in dem bürokratischen, verschraubten Milieu des Innenministeriums bisweilen nur schwer zurechtfand, war er eine wertvolle Hilfe. Die meisten jungen Polizisten entstammten einer Generation, die nichts als die Koranschule kannte, da die Taliban die weltlichen Universitäten geschlossen hatten – entsprechend beklagenswert war das Niveau ihrer schriftlichen Äußerungen. Dies war einer der Gründe, weshalb Gulbudin und Babrak, abgesehen von ihrer Treue und
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