Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
ohne dass von einem guten Einvernehmen die Rede sein kann. Zwischen dem General und Joseph jedoch verhielt es sich anders. Der General hatte blindes Vertrauen zum Chef seiner Spezialeinheit, obwohl Joseph ein Zivilist war, und zwar schlicht deshalb, weil er ihn für den Besten seiner Zunft hielt. Joseph wiederum war zwar unfähig, irgendetwas zu empfinden, weder für den General noch für sonst ein menschliches Wesen, aber er wusste die Professionalität seines Vorgesetzten zu schätzen, seinen wachen strategischen Sinn und seinen souveränen Umgang mit Niederlagen. Er hielt den General für einen großen Kriegsherrn, der sich konservativen Werten verpflichtet fühlte und recht bodenständig wirkte, andererseits aber äußerst scharfsinnig war.
»Wie weit ist die Treibjagd?«, fragte der General. »Es sind mittlerweile vier Tage vergangen. Unser Kunde wird langsam ungeduldig.«
»Wenn Willard Consulting die Sache nicht verbockt hätte, wären wir längst so weit. Geben Sie mir die nötige Zeit.«
»Die Zeit? Was für eine Zeit?«
»Die Zeit, die es eben braucht.«
»Sie sind es nicht gewöhnt, vertröstet zu werden.«
»Angesichts des Chaos, das sie angerichtet haben, sollten sie den Mund lieber nicht so voll nehmen.«
Da hatte er recht, dachte der General voll Bitterkeit. Als sie feststellten, dass es zwei Exemplare der »Akte Mandrake« gibt, eines in Zürich, das andere in Kabul, hatten die Manager von Willard Consulting in panischer Eile eine simultane Operation durchführen lassen, was zu einem katastrophalen Ergebnis geführt hatte. Die Beseitigung ihres Finanzdirektors war gründlich gescheitert, der Mann hatte daraufhin begriffen, dass es wohl besser war, das Weite zu suchen. Und dem Hilfspolizisten, der Wali Wadi aus dem Weg räumen sollte, war es nicht gelungen, das irgendwo in Kabul versteckte Dokument ausfindig zu machen.
Ein schönes Fiasko.
»Wie bekommen wir die Sache wieder in Griff?«, fragte er schließlich.
»Indem wir für Ordnung sorgen. Hier und in Kabul.«
Joseph sog seine dünnen Lippen ein, was sein glattes Gesicht noch unheimlicher wirken ließ. Als wäre er tot – was in gewisser Weise auch zutraf. Er hatte keine Familie, keine Freunde, niemanden, auf den er sich verlassen konnte. Niemand liebte ihn, so wie er niemanden liebte. Niemand schlief abends in seinem Bett ein, und wenn er mit einer Frau zusammen war, dann handelte es sich um eine Prostituierte. Er hatte hundertmal getötet und würde es wohl noch viele Male tun. In diesem Augenblick – obwohl seine Haltung es durch nichts verriet – spürte er eine Regung, die dem Gefühl von Wut ziemlich nahekam, schuld daran war das Scheitern seiner Einsatztruppe in der Fabrik.
»Hat Nick die geringste Ahnung, was in der Akte Mandrake steht?«, fragte er ruhig.
»Nein. Aber er ist intelligent genug, um eins und eins zusammenzuzählen. Wenn er zufällig einige der Namen errät, deren Initialen darin erwähnt werden, haben wir ein Problem. Und zwar ein großes.«
»Soll ich eingreifen?«
»Nicht sofort. Erst möchte ich ihm eine größere Rolle bei der Auffindung des Flüchtigen übertragen.«
»Weshalb?«
»Ob wir wollen oder nicht: Er ist jetzt in diese Geschichte verwickelt. Werner und er haben den Flüchtigen vor allen anderen aufgespürt, das bedeutet, dass er uns nützlich sein kann. Wir brauchen ihn, er ist der beste Analyst der Firma. Vielleicht stößt er auf etwas, das allen anderen bislang entgangen ist.«
»Und wenn er etwas gefunden hat?«
Der General seufzte. Er mochte Nick, aber in diesem Fall waren Gefühle fehl am Platz.
»Wir werden sehen, ob wir Ihre Männer dann auf ihn hetzen müssen. Das hängt von vielen Dingen ab.«
Joseph beschrieb einen weiten Bogen mit der Hand. »Ich tue, was mir möglich ist.«
»Wann reisen Sie nach Kabul ab?«
»Umgehend.«
»Gut. Sorgen Sie dafür, dass nicht der Hauch einer Spur bleibt, egal, was es für Konsequenzen nach sich zieht. Niemand darf den Tod Wali Wadis mit der Akte Mandrake in Verbindung bringen. Niemals!«
»Sie wissen aber, dass eine offizielle Untersuchung im Gange ist, oder? Der Minister scheint ziemlich nervös zu sein. Es ist nicht sicher, ob sich der Polizist, der sie durchführt, davon abbringen lässt.«
Dennoch musste genau dies geschehen, um jeden Preis. Die Informatiker der Firma hatten herausgefunden, dass Wali Wadieine Kopie der Akte Mandrake auf CD gezogen hatte. Der mit der Untersuchung befasste Polizist konnte durch einen Zufall darauf
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