Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
per SMS gaben. Die ganze Operation, die einer Farce glich, aber mittlerweile Nicks kühnste Erwartungen übertroffen hatte, war seiner fruchtbaren Phantasie entsprungen. Den Imam Sadar gab es gar nicht, und die Website, die zum Widerstand gegen ihn aufgerufen hatte, war von zwei libanesischen Analysten eingerichtet worden, die bei der Firma unter Vertrag standen. Jede Internetverbindung zu den Websites, die die Fatwa unterstützten, führte zur Versendung eines unauffälligen Cookies, das die Zurückverfolgung der jeweiligen IP-Adresse ermöglichte. Außerdem wurden die von den allzu gläubigen Gläubigen versandten SMS registriert. Nach der Aufbereitung der Daten durch die gigantischen Rechner des Echelon-Netzes wurden sie an die verschiedenen westlichen Geheimdienste verschickt und dienten diesen als wunderbare weltweite – selbstverständlich vollkommen illegale – Datenbank für islamistische Sympathisanten. Fast neunhunderttausend Personen, die als gewaltbereite Moslems eingestuft wurden, waren darin ohne ihr Wissen gespeichert. Die wenigen westlichen Führungsmitglieder, die in die Sache eingeweiht waren, sahen darin ein Beispiel für die Spionage des 21. Jahrhunderts – eine Mischung aus Kühnheit, Gewitztheit und Technologie.
Der General setzte seine Lektüre fort: Nick hatte in den vergangenen Jahren mehrere Freundinnen gehabt, soweit der Firma bekannt war. Außerdem hatte er über mehrere Monate hinweg eine heimliche Liaison mit einer etwas älteren Analystin gehabt, mit der zweiunddreißigjährigen Margaret Hoffman. Emotionale Bindungen zwischen Agenten waren zwaroffiziell untersagt, doch nach dem Erfolg der Operation »Halal-Schwein« hatten die internen Sicherheitsdienste ein Auge zugedrückt. Der Personalakte zufolge hatten Nick und Margaret sich im September des Vorjahres getrennt, es waren also keinerlei Sanktionen durchgeführt worden. Der ehemalige Leiter des schweizerischen Sicherheitsdienstes hatte Nicks Fähigkeiten folgendermaßen zusammengefasst:
Nick Snee: Für den Nahkampf nur bedingt geeignet. Mäßige Leistungen beim Schießen. Mäßige Begabung für den Einsatz im Gelände. Ein sehr intelligenter Junge, ohne Zweifel, aber zu verweichlicht, er hat weder Schwierigkeiten noch Leid erfahren. Er wird sich nie zum Einsatzleiter eignen, seine Emotionalität ist zu ausgeprägt, seine Fähigkeit, Schmerzen zu ertragen, kann nur als ungenügend bezeichnet werden.
Der ehemalige Direktor des Nachrichtendienstes hingegen kam zu einem anderen Schluss:
Wenn Nicks jugendlich-ungestüme Seite ihm karrieretechnisch auch zum Nachteil gereichen mag, so verfügt er doch über eine außergewöhnliche Intelligenz und bemerkenswerte technische Kompetenzen, außerdem die Phantasie und die nötige Originalität, die alle großen Spione ausmachen. Er ist der beste Analyst, der mir je unterstand. Trotz seiner Jugend gehe ich unbedingt davon aus, dass er sich binnen kürzester Zeit für die Leitung der verantwortungsvollsten Operationen empfehlen wird.
Der General schlug die Akte zu. Nick war ein brillanter, vielversprechender Mitarbeiter, einer, und das war selten genug, der einen wirklichen neuen Blick einbrachte. Die Geschichte mit dem Halal-Schwein hatte es bewiesen. Schade, dass er die CD-Hülle mit den vierundzwanzig Initialen entdeckt hatte. Vierundzwanzig Namen, die sich niemals in einem derartigenBericht hätten finden dürfen, die aber nun doch darin standen. Das änderte alles.
Mit einem Seufzen ging er hinüber in den abhörsicheren Besprechungsraum. Joseph wartete bereits auf ihn; er saß an einem großen Konferenztisch. Er war ein mittelgroßer Mann, bekleidet mit einem schwarzen Rollkragenpullover, der seine schmalen Hüften und seine breiten Schultern betonte. Wie alt er war, ließ sich nicht sagen. Er hatte graue, zurückgekämmte Haare. Sein Gesicht war eigenartig, er hatte ganz glatte Kinderwangen und stahlblaue Augen, kalt wie der Tod. Die meisten Leute bekamen Gänsehaut, wenn sie Joseph ins Gesicht blickten.
In allen Geheimdienstorganisationen der Welt ist die Balance zwischen Zivilisten und Militärs eine komplexe Angelegenheit. Die Militärs zeichnen sich durch ihre Disziplin aus, ihre Zähigkeit, ihren Drill und einen stets präsenten Gehorsam. Im Unterschied dazu stellen die Zivilisten oft mehr Phantasie und Originalität unter Beweis, und sie sind in der Regel geschickter bei Einsätzen im urbanen Umfeld. Seit jeher dulden zivile und militärische Spione einander,
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