Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
Gepanzerte Fensterscheiben, dachte Osama. Ein Arbeitstisch aus dunklem Holz, mehrere pompöse Sessel, zweifellos libanesischer Herkunft, ein Sofa. Wadi war wohl erfolgreicher gewesen, als er sich vorgestellt hatte.
»Sind bereits Kollegen hier gewesen?«, fragte Osama.
»Nein, niemand«, antwortete der junge Mann. »Ich habe die Nachricht vom Tod des Sahib Wadi heute Morgen im Radio gehört.«
Sie hatten demnach einen kleinen Vorsprung vor den Häschern des Innenministeriums, dachte Osama befriedigt.
»Ist alles in Ordnung? Keine Anzeichen für einen Einbruch?«
»Der Alarm war eingeschaltet, das Büro aufgeräumt. Ich habe nichts Ungewöhnliches bemerkt. Und am Safe hat sich auch niemand zu schaffen gemacht.«
»Es gibt einen Safe?«
»Hinter dem Bild.«
Der Mann hob eine Lithographie an, und es kam die Tür eines Safes von beträchtlichem Ausmaß zum Vorschein, mit einerTastatur und einem kleinen eingebauten Bildschirm. Osama registrierte das Logo: »Hartmann«. Ein derart modernes Modell sah er zum ersten Mal, meistens fand man nur alte russische Safes in Kabul. Er untersuchte ihn etwas genauer. Ein weit nach innen reichendes Schloss. Es sah neu aus, schien unzerstörbar zu sein.
»Sahib Wali Wadi hatte ihn erst letzten Monat erhalten«, erklärte der junge Mann. »Es ist ein europäisches Modell, er hat es extra bestellt. Es ist das einzige Modell dieser Art in Afghanistan«, fügte er stolz hinzu.
Osama fragte sich, ob Wali Wadi einen Schlüsselbund bei sich gehabt hatte, als die Leiche gefunden wurde. Er wandte sich an Gulbudin, der denselben Gedanken gehabt hatte.
»Ich hab nicht drauf geachtet, Chef. Ich überprüfe es sofort, wenn wir zurück sind.«
Osama wandte sich wieder dem jungen Privatsekretär zu.
»Kam dir dein Chef irgendwie anders vor in letzter Zeit? Als ob er Sorgen hätte oder deprimiert wäre?«
»Er hat nicht viel mit mir geredet. Die Geschäfte schienen gut zu laufen. Sogar ausgezeichnet!«
»Weshalb hat er diesen Safe angeschafft?«
»Sahib Wadi sagte mir, jetzt, wo er bei den Großen mitmische, müsse er für größere Sicherheit sorgen.«
»Sagte er tatsächlich, ›bei den Großen mitmischen‹?«
»Ja. Er kaufte auch einen für seine Wohnung.«
Erneut blickte Osama seinen Assistenten an, der den Kopf schüttelte. Der Tresor war ihrer Aufmerksamkeit entgangen. Osama fluchte innerlich. Wie hatten sie Wadis Wohnung nur so oberflächlich durchsuchen können! Sie mussten noch einmal von vorn anfangen, und zwar gründlich.
»Vor drei Monaten haben wir die Schlösser zum Büro ausgetauscht«, fuhr der junge Mann fort, »und eine Videokamera am Eingang installiert.«
»Die habe ich gar nicht gesehen.«
»Sie ist in die Decke eingelassen, nur das Objektiv ragt ein wenig hervor. Ebenfalls ein europäisches Modell.«
Osama spürte, wie sich sein Puls beschleunigte.
»Weißt du, wo die Aufnahmen gespeichert werden?«
Der junge Mann nickte. Er führte Osama in einen kleinen Raum neben der Küche. Das neueste Computermodell surrte auf einem Tisch.
»Ist alles auf der Festplatte.«
»Prima.«
Osama befahl, die Daten herunterzuladen. Die Durchsuchung des Büros brachte keine nennenswerten Ergebnisse zutage, abgesehen von einigen Flaschen Whiskey, Wodka und französischen Weinen und einem beeindruckenden Stapel aktueller Pornozeitschriften. Mit einem Blick gab Osama Babrak und Gulbudin zu ihrer großen Freude die Erlaubnis, den Alkohol mitzunehmen. Ein Festtag – sie würden ihn zu einem guten Preis an Journalisten oder UNO-Mitarbeiter aus dem Westen verkaufen.
Als seine Leute mit der Auswertung des Materials aus der Überwachungskamera kamen, war es Zeit für das Morgengebet. Osama breitete seinen Gebetsteppich mitten im Büro aus und gab sich seinem rituellen Gebet hin; vor den Augen seiner Assistenten erflehte er das Erbarmen Allahs. Gulbudin und Babrak waren, aus unterschiedlichen Gründen, nicht gläubig. Gulbudin, weil er im Grunde ein überzeugter Agnostiker war, der dem kommunistischen Regime nachtrauerte, und Babrak, weil er, wie viele junge Menschen seiner Generation, lieber westliche Musik hörte, mit Freunden wegging und im Internet surfte, anstatt zu einem Gott zu beten, der sein Land schon vor Urzeiten verlassen hatte. Osama nahm keinen Anstoß daran – er selbst aber war tiefgläubig.
3
Der General las die letzten Nachrichten aus Kabul nochmals durch. Er verstand nicht, was Kandar im Schilde führte, und das beunruhigte ihn sehr. Doch das Schlimmste
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