Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
schon.«
Mullah Bakir war eine schillernde Persönlichkeit, er moderierte eine sehr populäre Radiosendung zu Zeiten der Taliban, bevor die Medien aus geheimnisvollen religiösen Gründen verboten wurden. Jeder Afghane kannte seine eigenartige Stimme, seine schleppende, näselnde Sprechweise. Mullah Bakir war gebildet, galt als kluger Intellektueller und stand der Moschee auf dem Friedhof Shah-Do-Shamshera im Zentrum Kabuls vor. Von 1996 bis 2001 war er Mitglied des Geheimen Rats der Taliban gewesen. Man hatte ihn aber seither in Ruhe gelassen, was wohl einer finanziellen Zuwendung an bestimmte Leute aus dem Umkreis Präsident Karzais geschuldet war. Mullah Bakirstand in dem Ruf, ein aufgeklärter Taliban zu sein, wenngleich man diese Bezeichnung nur schwerlich auf Leute anwenden konnte, die eine Rückkehr zur archaischsten Form des Islam propagierten.
»Glaubst du denn, ein ehemaliger Talibananführer würde mir helfen? Ich habe viele von denen auf dem Gewissen.«
»Mullah Bakir ist anders. Mit ihm kann man reden. Glaube mir, unter den Mitgliedern des Rates gab es gewaltige Meinungsverschiedenheiten, was aber nie an die Öffentlichkeit gelangte. Ich habe eine ganze Akte über ihn, er war der Anführer der gemäßigten Fraktion, kein Zweifel. Sie waren gegen die Steinigung von Frauen, gegen körperliche Züchtigungen, gegen das Verbot westlicher Freizeitvergnügungen. Er ist außerdem der einzige hochrangige Taliban, der Mullah Omar gegenüber eine andere Ansicht vertrat, was al-Qaida und das Asyl für Bin Laden betraf. Er war gegen die Aggressionstaktik, die sie dem Westen gegenüber an den Tag legten, da er genau wusste, welche Risiken dies für das Talibanregime mit sich brachte.«
Die weitere Entwicklung hatte ihm auf grausame Weise recht gegeben … Ein derartiger Mann wurde zwangsläufig von der Geheimpolizei überwacht, dachte Osama. Er musste vorsichtig sein, wenn er ihn kontaktieren wollte, ohne dass die Mächtigen es mitbekamen.
»Inwiefern könnte er mir behilflich sein?«
»Er hat großen Einfluss auf den Gefängnisdirektor. Wenn du ihn davon überzeugen kannst, dass er dir den Häftling unbedingt ein paar Stunden lang ›ausleihen‹ muss, bin ich mir sicher, dass er ihn herausbekommt.«
»Wie kann ich vermeiden, dass der NDS Wind davon bekommt?«
Reza brach in Gelächter aus. »Es war Amrullah Saleh persönlich, der ihm den Posten zugeschanzt hat!«
»Der ehemalige Chef des NDS! Ein tadschikischer Ex-Mudschaheddin,Freund Massuds, der selbst Dutzende von Taliban getötet hat …«
»Hör auf, dir darüber den Kopf zu zerbrechen«, fiel Reza ihm ins Wort. »Ich bürge für ihn. Genügt dir das?«
»Na gut. Ich gehe nach dem Fünf-Uhr-Gebet zu ihm«, verkündete Osama.
Er legte auf und breitete seinen Gebetsteppich aus. Vor diesem schwierigen Schachzug wollte er unbedingt beten.
Die Shah-Do-Shamshera-Moschee, ein ehemals weltliches Gebäude, das zum Gotteshaus geweiht worden war, sah mit ihren blassgelb gestrichenen Wänden, ihrem steilen Dach, den runden Fenstern und den Säulen vor der Fassade mit einem einzigen kleinen Minarett darüber seltsam europäisch aus, wie ein verfallener Palast. Innen roch es nach Feuchtigkeit und Schweißfüßen. Einige Gläubige beteten auf abgewetzten Teppichen. Osama ging an ihnen vorüber, auf die Räume des Mullah am anderen Ende zu. Er war allein gekommen, im Taxi, nachdem er ein Täuschungsmanöver vorgenommen hatte, falls die Spione des Innenministers ihn bereitsüberwachten. Er hatte sich außerdem einen Turban aufgesetzt und einen Schal um den unteren Teil seines Gesichts geschlungen, damit er nicht erkannt wurde. Zu seinem Schutz hatte er lediglich eine Pistole und zwei Handgranaten in die Tasche seines
Jelak
gesteckt. Eine im Grunde sinnlose Maßnahme, denn gegen einen
Shahid,
der entschlossen war, sich in die Luft zu jagen, hätte ihm das nichts genützt.
Auf einen Stock gestützt, stand ein Einbeiniger vor dem Büro des Mullah. Ein Gläubiger, ein Spion des Hardcore-Flügels der Taliban oder ein Informant des NDS? Vielleicht alles zugleich. Osama hatte vorgesorgt: Er hielt ihm einen mit Klebeband versiegelten gepolsterten Umschlag hin, in dem seine Dienstmarke steckte.
»Übergib diesen verschlossenen Umschlag dem Mullah Bakir. Sag ihm, ich möchte ihn gern sprechen.«
Der Mann zog sich mit einem Bückling zurück. Nach wenigen Augenblicken kam er wieder.
»Der Mullah erwartet Euch,
Sahib
.«
Er führte Osama in einen winzigen Vorraum und
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