Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
ließ ihn dann in ein riesiges Zimmer eintreten, das offenkundig sowohl als Büro wie auch als Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer diente. In einer Ecke stand ein schmales Bett. Der Boden bestand aus gestampfter Erde, die Möbel waren wacklig und altmodisch, die Wände aus Lehm, und die rissige Decke war schmutzig. Ein riesiges Regal nahm eine ganze Wandfläche ein, und mehrere an Rechner angeschlossene Flachbildschirme thronten auf dem Schreibtisch des Mullah. Noch erstaunlicher war, dass sich überall amerikanische oder englische Zeitschriften stapelten:
Newsweek
,
Times
,
Foreign Affairs
…
Der Einbeinige zog sich zurück und schloss die Tür.
Mullah Bakir erwartete Osama vor einer Tasse dampfenden Tees. Er war ein kleiner Mann mit spöttischen Augen, zudem ziemlich fettleibig. Er erhob sich mühsam, streckte dem Kommissar seine weiche Hand hin, ein Zeichen für gute Erziehung in Afghanistan, und stimmte dann die Serie afghanischer Höflichkeitsfloskeln an.
»Ist Ihre Familie wohlauf, sind Sie bei guter Gesundheit?
Manda nabashi
. Ihr Haushalt wachse und gedeihe, und Sie mögen lange leben!«
Osama erkannte die seltsame Sprechweise des Mullah wieder, näselnd und schleppend, er betonte jede Silbe und machte nach jedem Satz eine Pause, als richtete er sich an eine Versammlung. Osama nahm ihm gegenüber Platz. Der Mullah goss ihm Tee ein und schob ein Schälchen mit Gebäck zu ihm hinüber. Osama war überrascht von seinem schalkhaften Gesichtsausdruck und der Eleganz, die er ausstrahlte, seinem schlichten Äußeren zum Trotz. Er beschloss, doppelt vorsichtig zu sein.
»Nun, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs,
Qoumaandaan
?Ich habe viel von Ihnen gehört. Viel Positives, Sie scheinen einer der wenigen in Ihrem Kommissariat zu sein, die täglich beten. Allerdings erzählt man sich, dass Ihre Frau kommunistischem Gedankengut anhängt und die Ungläubigen unterstützt. Haben sie Ihre Aufenthalte in Moskau da beeinflusst?«
»Da Sie so gut informiert sind, werden Sie auch wissen, dass meine Aufenthalte dort vor dem Einmarsch der Sowjets stattfanden. Ich war ein zwanzigjähriger Polizist. Viele Beamte nahmen damals an Fortbildungskursen in Moskau teil. Den Rest kennen Sie ja.«
»Beziehen Sie sich darauf, dass Sie den Truppen von Massud, diesem Schuft, beitraten? Ja, darüber bin ich auf dem Laufenden. Ich weiß, welche Rolle Sie bei dem Bataillon in der Schlacht von Talogan gespielt haben, Sie haben mehr als dreißig Russen an einem einzigen Tag getötet. Ich weiß aber auch, dass Sie viele der Unsrigen mit Ihrem russischen Präzisionsgewehr, Ihrer Dragunow, umgebracht haben. Wie viele waren es genau?«
»Ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand den
Qoumaandaan
Massud als ›Schuft‹ bezeichnet. Die Taliban haben sich schuldig gemacht, als sie ihn töteten. Er war einer der größten Männer, die unser Volk je hervorgebracht hat«, ereiferte sich Osama, erstaunt, wie viel der Mullah von seiner Geschichte wusste.
»Nicht die Taliban haben ihn umgebracht, die al-Qaida war es«, erwiderte der Mullah. »Wir haben nichts damit zu tun. Aber streiten wir nicht, Bruder Osama.« Er trank einen Schluck Tee. »Ich streite mich nur ungern mit ehrbaren Leuten. Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?«
Osama beruhigte sich wieder.
»Ich untersuche den Selbstmord eines Geschäftsmannes. Ich muss seine Safes öffnen lassen, und der einzige Mann, der dazu in der Lage ist, sitzt im Gefängnis von Pul-e-Charkhi ein. Er müsste für ein paar Stunden herausgelassen werden, ohnedass meine Vorgesetzten sich meinem Wunsch widersetzen können.«
»In welchem Trakt sitzt er?«
»In Block 7. Er hat einen UNO-Soldaten umgebracht.«
»Ich kenne ihn«, bestätigte der Mullah. »Er heißt Bismullah Tikrini. Der kanadische Soldat, den er tötete, hatte seine Schwester vergewaltigt, er hat aus Notwehr gehandelt. Diese Hunde hatten kein Recht, ihn ins Gefängnis zu werfen. Wenn wir sie fortgejagt haben, wird Tikrini freigelassen und wie ein Held gefeiert werden,
Inshallah
. Er kann Tresore öffnen, sagen Sie?«
»Das hat man mir versichert. Ich möchte gern wissen, ob er auch ein europäisches Modell knacken kann.«
»Ich werde ihn selbst danach fragen. Um welche Marke handelt es sich?«
»Um einen Hartmann, das neueste Modell, das sie haben.«
»Hartmann«, notierte der Mullah auf einem Stück Papier. »Ist das ein jüdischer Name?«
»Keine Ahnung, das interessiert mich auch nicht.«
»Hm. Wussten Sie, dass zwei
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