Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
Sie kannte Yasmina möglicherweise, vielleicht war es eine Kollegin von ihr. Er zog das Foto aus der Tasche.
»Erinnert Sie diese Frau an jemanden?«
Die Prostituierte kam etwas näher. Nick roch ein billiges Parfum.
»Vielleicht. Was krieg ich noch, außer den zwanzig Franken?«
Nick steckte den Geldschein wieder ein.
»Du gibst mir die Auskunft, ich gebe dir zwanzig Franken. Sonst vergessen wir das Ganze.«
»Warte doch, reg dich nicht gleich auf, Schätzchen.«
Nick bekam es mit der Angst zu tun, er fragte sich, wie glaubwürdig er als harter Macho wirkte. Vermutlich überhaupt nicht.
»Das Mädel heißt Yasmina. Sie ist eine der Ältesten hier.«
Nick spürte, wie sein Herz plötzlich schneller schlug.
»Weißt du, wo ich sie finden kann?«
»Zum letzten Mal habe ich sie gesehen, als sie sich direkt am Fluss einen Schuss setzte, hinter der Käsefabrik im Kreis 10, zur Limmat hin. Die Fabrik ist riesig, du siehst sie schon von weitem, der Geruch ist unverkennbar. Es gibt eine Reihe besetzter Gebäude und eine große unbebaute Fläche mit Wellblechhütten für die Penner. Dort geht sie anschaffen, auf dem Brachland. Bei der kannst du deine großen Scheine schön stecken lassen, Schätzchen, die bläst dir einen für fünf Euro, und die ganze Nummer kostet nur zehn. Wenn sie’s ganz dringend braucht, kriegst du noch einen Rabatt obendrein.« Die Prostituierte stieß ein freudloses Lachen aus. »Beeil dich, sie hat Aids und Hepatitis, das wissen hier alle. Bald ist sie tot.«
***
Anstatt ins Kommissariat zurückzukehren, fuhr Osama mit dem Taxi zum Souk. Das Gewimmel in dieser Gegend war unbeschreiblich, ein großer Teil der drei Millionen Einwohner Kabuls erledigte hier regelmäßig seine Einkäufe. Tausende Frauen in Burka drängten sich in den verstopften Straßen aneinander vorbei, einige auf Eseln sitzend, die von ihrem Ehemann oder Bruder geführt wurden. Überall liefen Händler durcheinander, von allen Seiten wurden lautstark Waren feilgeboten. Man hieltOsama eine neue Burka für seine Frau hin, empfahl ihm neue Schnabelschuhe für ihn selbst, lockte mit gerösteten Pistazien oder Gewürzen. Sein Kopf ragte aus der Menge heraus, und er befürchtete, ein Spion des NDS, von denen sich etliche hier herumtrieben, könnte ihn entdecken. Nachdem er zum Schein zwei, drei Geschäfte betreten hatte, blieb er vor einer neonbeleuchteten Auslage stehen. Das Geschäft hieß Parise-Kabul, neben der Inschrift auf Dari prangte ein plumper Eiffelturm. Osama trat ein und wandte sich an einen der Verkäufer. Kaum zehn Sekunden später stürzte der Besitzer auf ihn zu. Er war einer der wichtigsten Händler des ganzen Souk, ein Mann, der sich auf den Import westlicher Mode und Parfums spezialisiert hatte. Seltsamerweise hatte sein Geschäft während der Talibanherrschaft nicht gelitten, ganz im Gegenteil: seine Pseudo-Pariser Turbane von »Christian Bior« oder »Chamel« gingen weg wie warme Semmeln. Der Händler forderte Osama auf, in seinem besten Sessel Platz zu nehmen, und schnippte mit den Fingern, damit ihnen Tee mit frischer Minze serviert wurde, die in Kabul schwer zu bekommen war. Osama hatte den Laden noch nie betreten und war beeindruckt. Es war das größte Geschäft, das er je gesehen hatte, selbst das Gum in Moskau war nicht so groß. Es erstreckte sich über drei Etagen, es war das Einzige seiner Art in Kabul. Es gab sogar eine Rolltreppe, die – voller Stolz von ein paar Scheinwerfern beleuchtet – im Erdgeschoss ächzend ihre Arbeit leistete. Tausende von Tschadors und Burkas hingen von der Decke herab, inmitten eines Sortiments europäischer Kleidung – das grenzte an Provokation. Der Händler folgte Osamas Blick.
»Es gibt Frauen, die sich zu Hause gerne europäisch anziehen. Sie besuchen sich gegenseitig, schminken sich, tragen das Haar offen und entblößen große Teile ihres Körpers, wie zu Zeiten des Schahs. Als Einziger auf dem gesamten Markt vertreibe ich übrigens auch Burkas aus italienischem Stoff. Es ist ein wunderbarer Stoff, er kommt aus Modena.«
Osama griff nach dem sterilen Beutel mit dem Schuh in seiner Umhängetasche.
»Ich möchte meinem Sohn gern ein Paar solcher Schuhe schenken, wenn er zu Besuch kommt. Diese Marke gefällt ihm nämlich sehr. Verkaufen Sie die auch?«
Der Händler nahm den Beutel, begutachtete den Schuh durch das Plastik hindurch und machte ein betrübtes Gesicht.
»Das sind New Balance. Nein. Nein,
Qoumaandaan
Kandar. Die werden nicht importiert. Ich
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