Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
an die Macht kommen, ist noch nicht sicher. Ich will Leben retten, neue Massaker vermeiden, unsere Bewegung auf eine gute Basis stellen, indem wir die verführerischen Beziehungen zu al-Qaida kappen und gleichzeitig einen Nichtangriffspakt mit der Nordallianz schmieden. Nur die westliche Allianz kann mir dabei helfen.«
»Ich verstehe Ihre Strategie nicht.«
Der Mullah blickte sinnend in die Ferne.
»Politik ist die Kunst der Ausführung, und die Grundlage dafür gehorcht bisweilen recht komplexen Strukturen. Grob vereinfachende Pläne funktionieren niemals. Viel Glück, Bruder Osama. Meine Gedanken begleiten Sie.«
Osama beschloss, noch einmal den Gerichtsmediziner aufzusuchen.
Daktar
Katun befand sich im Operationssaal, Osama ordnete an, man möge ihn holen. Kurz darauf kam Katun angelaufen, den weißen Kittel und die Handschuhe voller Blutspritzer.
»Ich brauche noch einmal deine Hilfe«, sagte Osama.
»Alles, was du willst, aber beeil dich. Ich war gerade dabei, einem meiner Patienten eine Zyste von der Größe einer Zitrone zu entfernen.«
»Du musst mir einen der Schuhe des
Shahid
geben. Ich bringe ihn dir später wieder.«
»Und wenn sie die Habseligkeiten des Toten haben wollen?«
»Wenn es der NDS ist, sag ihnen, du hättest sie dem Geheimdienstübergeben, und wenn es die Polizei ist, behaupte das Gegenteil.«
»Gut, gut«, brummte der Arzt. »Warte hier.«
Einige Augenblicke später streckte er Osama einen sterilen Beutel hin, darin war der Schuh.
»Ich habe den hier genommen, weil er noch heil ist.«
»Danke. Du hast etwas gut bei mir!«
***
Auf dem Letten herrschte reger Betrieb. Die Prostituierten standen in einer langen Schlange und warteten auf den nächsten Kunden, während blitzblanke Autos langsam heranfuhren. Nick beobachtete den Ort seit einigen Stunden, bislang ohne Erfolg. Allmählich hatte er genug, doch jedes Mal, wenn er beschloss aufzuhören, dachte er an Werner. Er war es ihm schuldig.
Nick bedauerte, mit seinem kleinen Cabrio hier zu sein – es war zu niedrig. Er musste den Hals verdrehen, um die Prostituierten auf dem Bürgersteig im Blick zu haben.
Einer heimlichen Ordnung folgend, standen zuvorderst die Hübschesten, dann die weniger Verführerischen, diejenigen, die schon zu lange ihrem Job nachgingen. Zum Schluss die Transvestiten, die unter dicken Schminkschichten vergeblich versuchten, sprießende Bärte zu überdecken. Nick fuhr langsam an der Reihe der Mädchen vorüber, Yasminas Foto in der Hand. Keine ähnelte ihr, nicht einmal aus der Entfernung. Er parkte am Straßenrand und tastete nervös nach der Waffe an seiner Hüfte. Als er ausstieg, wurde er Zeuge von leise geführten Verhandlungen: »Fünfundzwanzig mit allem.« – »Nein, zwanzig.« – »Okay, für dreißig, aber ohne Gummi.«
Er steuerte ein Mädchen in einer Nische an. Sie war ziemlich jung, schien aber völlig fertig zu sein, sie schwankte mit halbgeschlossenen Augen vor und zurück.
»Komm, Schatz, ich mach’s dir für dreißig Franken.«
»Nein, danke.«
Er ging um sie herum, weil er eine andere Frau gesehen hatte, die deutlich älter war und sich im Hintergrund hielt.
»Komm schon, zwanzig Franken«, beharrte die erste Nutte, »ich blas ihn dir, und dann steckst du ihn bei mir rein.«
»Nein, danke«, sagte Nick erneut.
Das Mädchen kam hinter ihm her.
»Na los, zehn Franken, ohne Gummi, ich brauch ’nen Stein.«
Einen Stein. Crack. Dabei war sie schon total am Ende. Nick ging weiter, doch das Mädchen klammerte sich an ihn und schluchzte.
»Bitte, bitte, ich brauch Stoff, unbedingt! Einen Franken, ich mach’s dir für einen Franken, nur einen Franken!«
Voller Panik bei dem Gedanken, dass sie ihn zerkratzen könnte, machte Nick sich los. Er hielt ihr einen Fünf-Franken-Schein hin, den sie ihm aus der Hand riss. Sie stürmte davon. Die andere Frau, die er ansprechen wollte, lachte höhnisch auf.
»Arme Marylin, die ist total hinüber. Von den fünf Franken kauft sie sich einen halben Stein Crack, die hält ja nicht mal ’ne Stunde durch.«
Nick zog einen Zwanzig-Franken-Schein aus der Tasche und schwenkte ihn vor ihrem Gesicht.
»Ich brauche eine Auskunft.«
»Aber gerne doch, Schätzchen. Du bist hübsch, du gefällst mir.«
Die Frau trat hervor. Sie steckte in viel zu engen Klamotten, Lederhose und Lederjacke. Doch sie schien bei guter Gesundheit und gepflegt zu sein. Wie Nick von weitem gemutmaßt hatte, war sie schon Anfang sechzig, vielleicht sogar noch älter.
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