Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
einen Widerspruch zur Lehre des Islam, denn der Koran untersagt den Mord unschuldiger Zivilisten.«
»Selbst der Nazarener? Eure Männer waren nicht so rücksichtsvoll, als sie an der Macht waren«, erwiderte Osama scharf.
»Der Ungläubige muss eine echte Chance haben, zum wahren Glauben überzutreten, ihn inmitten einer Volksmenge zu töten, ermöglicht ihm dies nicht«, sagte der Mullah. »Ich habe mehrere Fatwas zu diesem Thema geschrieben, darunter eine, die von meinen Brüdern der Großen Moschee in Kairo übernommenwurde. Sie gilt heute für die ägyptischen Imame als bindend, was mich mit aufrichtiger Freude erfüllt. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass es bei den muslimischen Brüdern niemals zu einem Selbstmordattentat kam? Was ich sagen will, ist, dass einige der radikalen Mitglieder der Rebellion nicht gerne mit meinen Boten sprechen.« Der Mullah ließ sich in seinen Sessel sinken. »Aber selbst wenn man nicht die ganze Wahrheit kennt, kann man sich ihr doch annähern. Uns wird bald eine Meinung über den Ursprung dieses Attentats vorliegen, sei sie nun fundiert oder nicht.«
»Was aber ist ganz spontan die Ihre, Mullah? Ihre ureigene Intuition, mit den wenigen Fakten, die Ihnen augenblicklich zur Verfügung stehen?«
Mullah Bakir sah Osama aus seinen dunklen Augen an. Aus seinem Blick war jegliche Freude gewichen.
»Ich denke, dass dieses Attentat nicht von unseren Leuten begangen wurde. Ich finde es seltsam, dass ein Mann, der zu keiner geheimen Gruppierung zu gehören scheint, plötzlich beschließt, sich in die Luft zu jagen, das dazu nötige Material findet und seinen Plan an einem streng abgesicherten Ort zur Ausführung bringt. Der Imam seiner Moschee wird im Augenblick von Ihren Kollegen verhört, sie foltern ihn, damit er gesteht, was man von ihm hören will. Ich kenne ihn, es ist ein gemäßigter Mann, der sich jeder Form von Gewalt widersetzt – niemals hätte er einen
Shahid
ausgebildet. Außerdem fehlt ihm das Zeug zum Manipulator. Die Ausbildung eines Märtyrers braucht viel Zeit, es ist eine totale Gehirnwäsche. Man nimmt einem Menschen nach und nach die Kontrolle über seinen Willen, bis man ihn schließlich auch noch dessen beraubt, was am tiefsten in uns verankert ist: die Lust zu leben. Dieser Imam ist dazu nicht imstande.«
»Ging Abdul Hakat vielleicht zu einem anderen?«
»Soweit ich weiß, nein. Ich muss allerdings hinzufügen, dass mein Bote keine Zeit hatte, das Gespräch zu vertiefen, weil dieHäscher Ihres Kommissariats mit all der Finesse, die sie auszeichnet, die Tür eintraten. Sie packten den Imam, bevor die Unterhaltung beendet war …«
Osama stand auf und verneigte sich leicht.
»Danke für Ihre Informationen, Mullah. Sie sind von großem Wert für mich.«
Als er schon an der Tür war, sagte der Mullah noch: »Dass Sie sich mit Ihren beiden Assistenten direkt vor der Explosion in diesem Café befanden, kann kein Zufall sein. Hätte Gulbudin nicht seine Rückenschmerzen gehabt, wären Sie alle drei tot. Ich glaube nicht an derartige Zufälle.«
Osama wandte sich um.
»Ich auch nicht.«
»Werden Sie diese Untersuchung fortsetzen?«
»Haben Sie Zweifel daran?«
»Unsere arabischen Freunde haben ein wunderbares Sprichwort: Es ist besser, ein lebender Hund zu sein, als ein toter Löwe.«
»Die Geschichte, die sich hinter dem Tod Wali Wadis verbirgt, muss riesengroß sein, wenn sie diejenigen, die sie vertuschen wollen, zu derart entsetzlichen Aktionen zwingt.«
Der Mullah seufzte.
»Sie sind ein mutiger Mann, Bruder Osama. Versuchen Sie, noch ein paar Tage am Leben zu bleiben. Ihre Recherchen interessieren mich.«
»Und warum, wenn ich fragen darf?«
»Weil ich wie Sie das Gefühl habe, dass die Nazarener darin verwickelt sind, und wissen möchte, ob es die Russen, die NATO oder jemand anders ist. Denn diese Marionettenregierung und diese bunt zusammengewürfelte Militärkoalition werden eines Tages von einer neuen, hoffentlich gemäßigten Talibanbewegung hinweggefegt werden. Die UNO muss uns an die Macht kommen lassen, zugleich aber mit den Tadschiken und den Hazara verhandeln, damit es keinen Bürgerkrieg gibt.Diese Blankovollmacht können wir auf verschiedenen Wegen erhalten. Durch Verhandlungen. Durch Terrorangriffe. Durch die Schaffung gemeinsamer Interessen.«
»Oder durch Erpressung …«
Der Mullah deutete ein Lächeln an.
»Erpressung, was für ein hässliches Wort. Eines ist sicher, Bruder Osama, wir kommen bald an die Macht. Nur wie wir
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