Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
der Stämmige zuckte nur mit den Achseln und deutete auf einen Mann, der an dem Tisch direkt vor ihm saß. In den Dreißigern, schmale Schultern.
»Was wollen Sie von mir?«
»Komm mit«, befahl Nick.
Zögernd erhob sich Stavos und zog einen Mantel über. Es herrschte Totenstille, bis ein anderer Spieler zu einer Zigarette griff und seinen Nachbarn um Feuer bat. Mit einem Mal belebte sich der Raum wieder, und die Karten gingen von Hand zu Hand. Stavos ging hinaus, gefolgt von Nick.
»Sie sind ein Bulle?«, fragte er. »Von der Bundespolizei?«
»Halt’s Maul«, sagte Nick. »Du sollst nur reden, wenn du gefragt wirst.«
Nick streifte Stavos ein Paar Plastikhandschellen über, bevor er ihn auf die Rückbank drängte. Je näher sie den düsteren Industrieanlagen zufuhren, desto unruhiger wurde Stavos.
»Wo bringen Sie mich hin?«
Statt einer Antwort zog Nick seine Waffe hervor und richtete sie auf den Mann auf dem Rücksitz.
»Du stellst hier keine Fragen, kapiert?«
Nick fuhr durch die verlassenen Straßen um die Käsefabrik. In einem dunklen Abschnitt, dicht am Fluss, schaltete er den Motor aus. Der Regen hatte während der Fahrt wieder eingesetzt und trommelte aufs Dach. Mit grimmiger Miene zerrte Nick seinen Fahrgast ins Freie und bohrte den Schalldämpfer der Waffe in seine Stirn.
»Mein Gott, was wollen Sie denn von mir?«, stammelte Stavos.
»Das werde ich dir verraten. Eine Nutte hat einen Freier zu dir gebracht. Sie heißt Yasmina, sie ist drogenabhängig, hat in dem besetzten Gebäude in der Langstraße gelebt, in dem es die Razzia gegeben hat.«
»Das Gebäude mit den Junkies?«
»Korrekt. Ihr Freier wollte einen Pass. Ein Mann, in den Fünfzigern, klein, Brille, schon ziemlich kahl. Ein Kerl, der Geld wie Heu hat. Wir wollen wissen, welchen Namen er für den Pass angegeben hat. Wenn du mir weiterhilfst, kannst du gehen.«
»Nein, Sie werden mich umlegen, sobald ich Ihnen den Namen genannt habe.«
»Überleg’s dir. Ich will einfach nur den Namen wissen.«
Stavos schluckte. »Milton. Ich habe ihm einen Pass auf den Namen Lionel Milton angefertigt.«
Nick atmete tief durch.
»Siehst du, war doch gar nicht so schwer, oder?«, sagte er. »Los, steig ein, ich bring dich zurück.«
»Lassen Sie mich bitte zwei Straßen vorher raus«, knurrte Stavos. »Ich will nicht von einem Bullen vor der Tür abgesetzt werden.«
Nick erwiderte nichts, tat Stavos jedoch den Gefallen. Er hatte, was er wollte. Als er wieder allein war, überlegte er, wie er diese Information wohl verwenden würde. Seit dem 11. September hatte er Zugriff auf die Passagierlisten der Fluglinien: Diese waren angehalten, dem SND die Namen aller Passagiere mitzuteilen, die die Schweiz verließen oder dort einreisten. Die Firma besaß einen Zugang zu dem Rechner, der dieses Programm verwaltete. Wenn er sich allerdings unter seinem Namen einloggte, würde er unweigerlich eine Spur seiner Recherchen hinterlassen – und das musste er unbedingt vermeiden.
***
Osama wachte um drei Uhr auf, rollte seinen Teppich aus und verrichtete sein Morgengebet, in dem er Allah darum bat, ihm bei seiner Suche nach der Wahrheit zu helfen. Der Boden unter dem Gebetsteppich war hart, und seine Knie nach dem Aufstehen ganz steif. Malalai schlief noch, er achtete darauf, so wenig Lärm wie möglich zu verursachen, um ihr noch ein wenig Ruhe zu gönnen; durch die Nachtwachen im Krankenhaus war ihr Organismus darauf getrimmt, sofort nach dem Aufwachen zu funktionieren. Er stellte die Heizung im Zimmer höher, damit es wärmer war, wenn Malalai sich ankleidete. Im Badezimmer wusch er sich mit einer Seife, die härter war als Holz und nach Rosen duftete. Er hasste es, wenn er nach Rosenduft roch und verwünschte diese verwestlichte Stadt, in der man keine schlichte Seife mehr fand, die einfach nur sauber roch und nach nichts anderem. Er zog sich rasch im Dunkeln an und trat, in Stiefeln und mit einem Gewehr ausgerüstet, vor die Tür. Die plötzliche Kälte ließ seine noch feuchten Haare erstarren; erhielt einen Moment inne, um die Morgenluft tief einzuatmen. Mehr als alles liebte er diese Jahreszeit, diese letzten Wintertage vor dem Frühling, der bereits die erstickende Hitze des Monats Juni ankündigte. Sein Geländewagen und der begleitende Pickup warteten in der Dunkelheit. Mit einem Quietschen öffnete sich die rechte Vordertür des Geländewagens, Gulbudin stieg aus, in seinen alten sowjetischen Armee-Parka gehüllt, dessen Kragen bereits ganz
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