Das Känguru-Manifest
ruft das Känguru.
»Das sind Schnapspralinen«, sage ich.
»Ich darf alles«, sagt Friedrich-Wilhelm und wirft sich die Praline in hohem Bogen in den Mund. »Ich bin Atheist.«
»Du hast da was falsch verstanden«, sagt das Känguru. »Du darfst die nicht essen, weil das sind meine Schnapspralinen!«
»Ach. Mein, dein«, sagt Friedrich-Wilhelm. »Das sind doch bürgerliche Kategorien.«
»Das ist mein Spruch!«, ruft das Känguru aufgebracht. »Meiner!«
14 Zahlen flößen Vertrauen ein! 72 Prozent aller Leser sind durch diese Datumsangabe eher geneigt, die so eben berichteten Fakten als wahr zu akzeptieren. Dabei stand der Artikel gar nicht am 17.09.2010 in der Zeitung, sondern am 18.09.2010. Auch stand er nicht in der Süddeutschen Zeitung sondern in der Frankfurter Rundschau . Und natürlich ist die in dieser Fußnote genannte Prozentangabe frei erfunden. Anm. des Kängurus
»Weg!«, ruft das Känguru. »Weg! Schnell weg vom Telefon!«
»Mama, du musst mir die Geschichte später fertig erzählen«, sage ich noch, da schubst mich das Känguru schon vom Stuhl und legt den Hörer auf die Gabel. Es holt eine Riesenpackung Knabberzeug aus seinem Beutel, schlägt mit der einen Pfote auf den Telefonhörer, fängt ihn mit der anderen auf und beginnt, hastig zu wählen.
»Ja? Hallo? Kundenservice?«, fragt das Känguru. »Hören Sie! Ich habe hier eine Ihrer Ein-Kilogramm-Nussmischungen vor mir, und da haben Sie auf den Aufkleber vorne draufgedruckt: ›Kann Spuren von Erdnüssen und/oder anderen Nüssen enthalten.‹«
Das Känguru wirft sich ein paar Nüsse ein.
»Ich möchte Sie nun in aller Form darauf hinweisen, dass es sich bei den sogenannten Erdnüssen keineswegs um Nüsse, sondern um Hülsenfrüchte handelt. Die Bezeichnung ›Erdnüsse und andere Nüsse‹ ist also mehr als irreführend … Hallo? Hallo? Na, so was …«
»Einfach aufgelegt?«, frage ich. »Frechheit.«
Ohne mir zu antworten, wählt das Känguru noch einmal.
»Hallo? In diesem Zusammenhang stellt sich doch auch die Frage, ob die sogenannten Erdnüsse überhaupt etwas in einer sogenannten Nussmischung zu suchen haben oder ob man das Produkt nicht viel mehr ›Nuss-/Hülsenfrüchte-Mischung‹ … Hallo? Hallo?«
»Bist du fertig?«, frage ich.
Das Känguru gibt mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich still sein soll, und wählt aufs Neue.
»Hallo? Ja. Nicht ohne Grund nämlich nennen die Araber diese angebliche Nuss ›sudanesische Bohne‹. Interessanterweise handelt es sich übrigens bei der sogenannten Erdbeere keineswegs um eine Beere, sondern um eine sogenannte Sammelnussfrucht, dennoch findet man sie fast nie in einer Nussmischung … Hallo?«
»Darf ich jetzt wieder telefonieren?«
»Einen Moment noch«, sagt das Känguru und zieht eine Tageszeitung aus seinem Beutel. Es wählt eine neue Nummer. Ich setze mich vor meinen Computer und tue, was ich immer tue, wenn ich nicht weiß, was ich tun soll. Ich rufe meine E-Mails ab.
»Ja. Hallo? Hören Sie?«, sagt das Känguru. »In Ihrer aktuellen Ausgabe benutzen Sie in Ihrem Leitartikel die Bezeichnung ›Amerikas schwarzer Präsident‹, und fünf Zeilen darunter erklären Sie, dass es sich bei Barack Obama um den ersten ›Farbigen im Weißen Haus‹ handele. Nun möchte ich Sie in aller Form darauf hinweisen, dass es sich bei Schwarz keineswegs um eine Farbe, sondern um eine Helligkeitsstufe … Hallo?«
Das Känguru legt auf.
Ich durchstöbere meinen Posteingang.
»Seit geraumer Zeit bekomme ich so wunderbar wunderliche Spammails«, sage ich. »Mit geradezu poetischen Betreffzeilen.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel: ›2010: Die Moehre im Bettchen dicker machen‹«, sage ich. »Alles an diesem Satz finde ich faszinierend. Die Zahl zu Beginn. 2010! Das klingt immer noch so nach Science-Fiction. Ich glaube, für meine Generation wird 2010 noch im Jahr 2020 nach Science-Fiction klingen. Ich stelle mir die Klänge von Also sprach Zarathustra vor und dazu einen Sprecher wie in einer Filmvorschau: ›2010: DIE MOEHRE IM BETTCHEN DICKER MACHEN‹. Überhaupt: ›Die Moehre‹. Und des Diminutiv: ›Bettchen‹. Diese perverse Mischung aus Schulmädchenreport und Alice im Wunderland. Wählst du die rote oder die blaue Pille? Die rote Pille macht die Möhre dünner, die blaue macht sie dicker. Faszinierend.«
»Ich kann deine Faszination nicht vollständig teilen«, sagt das Känguru.
»Du löschst auch all deine Spammails ungelesen. Ich hingegen verfolge
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