Das Känguru-Manifest
uns eine Stunde mehr arbeiten könnte pro Tag. Niemand, der BWL studiert hat, kann so einem Angebot widerstehen.«
»Und wie willst du das machen?«, frage ich. »Die Erde aus ihrer Umlaufbahn katapultieren? Welche Methode schlägst du vor?«
»Da arbeite ich noch dran«, sagt das Känguru. »Eventuell könnte man ein riesiges Netz um die Erde legen und …«
»Du willst quasi ’ne Rakete ans Internet binden und die dann Richtung Mars schießen?«, frage ich.
»Nicht schlecht«, sagt das Känguru und macht sich Notizen.
»Du könntest auch deine Kontakte zur chinesischen Regierung nutzen und dafür sorgen, dass, wenn die Erde im richtigen Winkel zur Sonne steht, alle Chinesen so lange auf einmal in die Luft hüpfen, bis die Polarbären wieder Eis unter den Füßen haben.«
Das Känguru nickt.
»Wenn der Antrag durchgeht, stelle ich dich ein«, sagt es.
»Ach«, sage ich. »Ich bin doch eigentlich recht harmlos. Ich finde nicht, dass man mich unbedingt beschäftigen muss.«
»Ich finde tackern super«, sage ich. »Ich finde, man sollte viel mehr tackern!«
»Mhm«, sagt das Känguru gedankenverloren. Es sitzt am Schreibtisch und arbeitet an seinem Manifest. Plötzlich stehen eine dicke Frau und ein kleiner Junge in einem noch kleineren Anzug neben uns im Zimmer.
»Wir müssen unbedingt mal die Wohnungstür reparieren«, sagt das Känguru.
»Nehmen Sie sich kurz fünf Minuten Zeit für Gott«, sagt die Frau.
»Für wen?«, frage ich abwesend.
»Für den Herrn, den Vater, den Schöpfer, den Allmächtigen, den …«
»Ach so. Nee«, sage ich. »Keine Zeit. Ich muss noch
was … äh … tackern.«
Die Frau stößt den Jungen an, und dieser beginnt, seinen Text aufzusagen: »Wir alle haben Fragen an Gott …«
»Nee. Ich nich …«
»… die Bibel hilft uns, die Antworten zu finden.«
»Dann beantwortet mir mal Folgendes«, sagt das Känguru, steht vom Schreibtisch auf und nimmt der Frau die Bibel aus der Hand. »Warum ist das hier das meistgedruckte Buch der Welt? Ich meine, es ist doch einfach lausig geschrieben! Wenn ich allmächtig wäre, hätte ich mir einen Ghostwriter mit Talent gesucht. Jemand wie Dostojewski hätte die Passion Christi aufschreiben sollen! Oder Cervantes! Oder Sophokles. Stattdessen Lukas, Markus, Malte und Mel Gibson. Bitte wer? Und überhaupt: diese Evangelien. Unter uns gesprochen, der dramaturgische Sinn davon, vier Mal hintereinander genau das Gleiche zu erzählen, erschließt sich mir einfach nicht ganz. Mutige Idee. Sicher. Aber alles in allem kann man froh sein, dass sich dieser Kunstgriff nicht durchgesetzt hat.«
»Was heißt hier nicht durchgesetzt?«, frage ich. »Denk nur mal an Rocky . Sechs Mal hintereinander genau das Gleiche. Auch total erfolgreich. Überhaupt: Warst du in den letzten paar Jahren mal im Kino? Schon mal ’ne Fortsetzung gesehen?«
»Ja, aber Rocky war wenigstens lustig!«, ruft das Känguru. »Ich meine, die Bibel hat doch alle Ingredienzien eines Dan-Brown-Bestsellers. Völkermord, Inzest, Vergewaltigung und irgendwas Abgefahrenes mit Religion. Warum zündet die Lektüre trotzdem nicht? Hm?«
»Das habe ich mich auch schon oft gefragt«, sagt der Junge.
»Weil man die Bibel gut mit einem Vier-Stunden-Film vergleichen kann, der auf eine Länge von vierzig Stunden aufgebläht wurde, einfach dadurch, dass anscheinend wahllos an allen möglichen und unmöglichen Stellen immer und immer wieder der komplette Abspann mit allen Beteiligten über den Schirm flimmert. Nur werden nicht nur die Beteiligten genannt, sondern auch all ihre Väter und Söhne und deren Söhne und deren Söhne und deren Söhne und wie alt die jeweils geworden sind.«
»Man kann aber auch viel Spaß haben mit der Bibel«, sage ich.
»Ah ja?«, fragt das Känguru.
»Ah ja?«, fragt der Junge.
»Na klar«, sage ich. »Zum Beispiel wenn man in der Johannes-Offenbarung immer das Wort ›Tier‹ durch das Wort ›Bier‹ ersetzt.«
Ich nehme dem Känguru die Bibel weg und deklamiere:
»Und das Bier, das aus dem Abgrund aufsteigt, wird mit ihnen kämpfen und wird sie überwinden und wird sie töten, und seine Zahl ist 1664. Und die ganze Erde wunderte sich über das Bier, und sie beteten das Bier an und sprachen: WER IST DEM BIER GLEICH, wer kann mit ihm kämpfen? Und ein Engel sprach mit großer Stimme: Wenn jemand das Bier anbetet, der wird von dem Wein des Zornes Gottes trinken.«
Entsetzt zieht die Mutter ihren kichernden Sohn aus unserer Wohnung.
»Kuck, dass du aus
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