Das Känguru-Manifest
Straße!«, sagt es, als wir wieder allein sind. Es bückt sich, hebt einen kleinen Geröllbrocken auf, fischt ein Stück Metall aus seinem Beutel und verbindet beides mit doppelseitigem Klebeband. Zum Schluss holt es noch eine rote Spraydose aus seinem Beutel und gibt einen kurzen Sprühstoß ab.
»Hier«, sagt es. »Kühlschrankmagnet mit einem Stück original Berliner Mauer. € 7,99.«
»How much is this?«, fragt ein kräftig gebauter Amerikaner.
»20 Dollars«, sagt das Känguru.
»Two please.«
»Sure«, sagt das Känguru und beginnt noch einen Magneten zu basteln.
»Is it true that the Russian Czar Karl Marx himself has built the Berlin Wall with his own hands?«, fragt der Tourist.
»Yes, yes«, sagt das Känguru. »And Trotzki did a lot of the graffiti.«
»Amazing«, sagt der Mann und nickt. Dann fragt er: »Who was this Trotzki-guy again?«
»He was a famous russian novelist«, sagt das Känguru. »He wrote War & Peace .«
»Ah! I saw parts of that on the telly«, sagt der Mann. »The one with the Hobbits!«
»Yes, yes«, sagt das Känguru.
»We do Europe in ten days«, sagt der Mann.
»I bet you do«, sagt das Känguru und reicht dem Mann den zweiten Magneten. Der Mann bedankt sich und geht. Das Känguru kramt wieder in seinem Beutel und reicht mir einen Duftbaum.
»Halt mal kurz«, sagt es.
Ich halte mal kurz.
»Ah verdammt!«, rufe ich. »Ich kann diesen Reflex nicht kontrollieren …«
»Ich wette mit dir«, sagt das Känguru, »dass ich sogar diesen Duftbaum, den ich eine Woche in der finstersten Ecke des U-Bahnhofes Kottbusser Tor habe ziehen lassen …«
»Wäh!«, rufe ich und lasse den Duftbaum fallen. Das Känguru hebt ihn wieder auf.
»… unter der Bezeichung Urban Fragrance From Kreuzberg für teuer Geld verkaufen könnte«, sagt es. »Glaubst du nicht?«
»Doch. Leider.«
»Und ich habe noch mehr tolle Ideen für den Berlintouristen von Welt. Zum Beispiel Actionfiguren: der Grillwalker! Und sein Sidekick, der Motzverkäufer! Und natürlich ihr Erzfeind, der BVG-Kontrolleur! Außerdem: ein nagelneues Lego-Bürohochhaus! Kommt ohne Figuren, weil leerstehend. Oder ’ne Altbau-Puppenwohnung. Hohe Decken, Stuck, abgezogene Dielen. Da heißt es: schnell zugreifen, weil die kostet jeden Monat zehn Prozent mehr. Des Weiteren: leicht entflammbare Matchbox-Autos: € 8,99. Mit Feuerzeug: € 15.99.«
»Be Berlin«, sage ich. »Na dann mal los.«
»Ach«, sagt das Känguru und wirft den Luftverpester über die Schulter hinter sich. »Immer wenn ich einen Plan bis ins letzte Detail durchdacht habe, wenn wirklich nichts mehr schiefgehen kann, wenn der Plan perfekt ist, erscheint mir die Durchführung desselben als unerträglich langweilig.«
»Die Tragik des Genies«, seufze ich mitfühlend. »Das ist ja fast wie damals, als du den perfekten Einkaufszettel ausgearbeitet hattest und dann doch nicht einkaufen gegangen bist.«
»Ja, ja«, murmelt das Känguru gedankenverloren. »Glaubst du, die Leute würden Wurstpralinen kaufen?«
Wir stehen auf dem Bahnsteig des U-Bahnhofes Friedrichstraße und warten. Wie so oft wurde jede bedruckbare Fläche des Bahnhofes an eine große Kampagne verkauft. Auf einem der Plakate sieht man in einer grünen Aue einen adrett lächelnden, jungen Mann in einem Strahlenschutzanzug. Ein Bächlein fließt zu seinen Füßen, ein Vöglein sitzt auf seiner Schulter. Im unteren rechten Eck klettert ein Eichhörnchen einen Baum hinauf. Klein und unscheinbar sieht man im Hintergrund ein Atomkraftwerk. Unter dem Bild steht: »Ich arbeite gern – für meinen Konzern.«
Auf einem anderen Plakat sieht man einen adrett lächelnden Mann im Anzug, der einem anderen Mann in nicht-westlicher Kleidung einen Katalog mit Waffen präsentiert. Darunter steht: »Ich lauf bis in den Jemen – für mein Unternehmen. Ich schwimm bis nach Birma – für meine Firma.«
Auf dem nächsten Plakat sieht man adrett lächelnde, sehr hübsche junge Frauen, die in Hot Pants und Tank Tops an einem Fließband Kopfhörer zusammenstecken. Darunter steht: »Die schönste Musik? – Der Sound der Fabrik.«
Auf dem Plakat daneben sieht man ein dunkles Büro. Nur an einem Schreibtisch leuchtet noch der Flachbildschirm, und daneben brennt eine Kerze. Ein junger Mann, müde, aber glücklich, sitzt auf seinem Bürostuhl, ein Glas Rotwein in der Hand. Unter dem Bild steht: »Mein Schatz ist mein Arbeitsplatz.«
»Das da kannte ich noch nicht«, sage ich und deute auf das Plakat in der Mitte.
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