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Das Känguru-Manifest

Das Känguru-Manifest

Titel: Das Känguru-Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Uwe Kling
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zischt es.
    Einen kurzen Moment verharren die Kontrahenten. Die Schlange hinter dem Känguru ist enorm.
    »Also, wir fangen jetzt von vorne an, und du machst mir ein vernünftigeres Angebot«, sagt das Känguru.
    »Welcher Film?«, fragt der Junge.
    »Kino 1«, sagt das Känguru.
    »16 Euro bitte«, sagt der Junge.
    »Waaass?!?«, ruft das Känguru.
    »16 Euro pro Person.«
    »16 Euro«, ruft das Känguru fassungslos. »Das, das, das sind ja …«
    »Oje …«, seufze ich. Das Känguru springt auf die Theke.
    »16 Euro!«, ruft es den Leuten zu. »Das, das … das sind 32 Mark! Das, das, das sind 64 Ostmark! Das sind 320 Ostmark auf dem Schwarzmarkt! Und ich weiß nicht, ob ihr das noch wisst, aber man konnte locker für eine Ostmark ins Kino gehen.«
    Ich vermeine Unmutsäußerungen, aber auch zustimmendes Gemurmel zu vernehmen.
    »Das heißt, man konnte von 320 Ostmark 320-mal ins Kino gehen«, fährt das Känguru fort. »Wenn ihr heute 320-mal ins Kino gehen wollt, müsst ihr … äh … 5120 Euro bezahlen. Ja! Ja! Ich weiß, was ihr denkt: 10240 Mark. 20480 Ostmark. 102400 Ostmark auf dem Schwarzmarkt. Davon konnte man 102400-mal ins Kino gehen.«
    Vereinzelt fliegen 3D-Brillen in Richtung Kasse.
    Einer der Umstehenden sagt: »Ich glaube, ich kenn das von youtube …«
    »Wenn ihr aber heute 102400-mal ins Kino gehen wollt, müsst ihr … äh … sagen wir mal: zwei Milliarden Euro für bezahlen. Ja, ja! Ich weiß, was ihr denkt: 4 Milliarden Mark. 8 Milliarden Ostmark. 40 Milliarden Ostmark auf dem Schwarzmarkt.«
    Eine Brille trifft das Känguru am Kopf.
    »Das wären 40 Milliarden Kinobesuche«, fährt es unbeirrt fort. »Wenn ihr heute 40 Milliarden Mal ins Kino gehen wollt – dafür habt ihr ja gar keine Zeit im Kapitalismus, aber wenn ihr die Zeit hättet –, dann müsstet ihr grob geschätzt eine Billion Euro dafür bezahlen. Ich weiß, was ihr denkt«, ruft das Känguru. »Davon hätte man die DDR entschulden können! Von einmal ins Kino gehen. So teuer ist das alles geworden.«
    »Entschuldigung«, unterbricht der Junge an der Kinokasse das Känguru. »Was sind denn Ostmark?«
    Das Känguru blickt ihn entsetzt an.
    »Dafür bin ich ’89 nicht auf die Straße gehüpft!«, ruft es empört. »Dafür nicht!«
    »Was war denn ’89?«, fragt der Junge.
    »’89, mein Junge«, sagt das Känguru mit beängstigend ruhiger Stimme. »Da war dieser Platz noch komplett leer! Da war der quasi noch komplett 2D. Und soll ich dir mal was sagen: So schlecht sah das gar nicht aus! Wenn du mir also noch einmal sagst, dass ich 16 Euro bezahlen soll, dann wäre es mir eine Freude, diesen Platz wieder in seinen Vor-Wende-Zustand zu versetzen.«
    Irgendwo höre ich schon eine Scheibe klirren. In der ganzen Lobby geraten unter Stöhnlauten Menschen mit Plastikbrillen aneinander. Mit ausgestreckten Armen versuchen sie Sachen zu greifen, die tatsächlich da sind. Das Känguru hüpft von der Theke.
    »Also. Noch mal von vorne«, sagt es. »Kino 1 bitte.«
    »16 Euro«, sagt der Junge.
    »Wir haben schon 3D-Brillen«, sagt das Känguru und hebt zwei vom Boden auf. »Wird’s dann billiger?«
    »15 Euro 50«, sagt der Junge.
    »Na also«, sagt das Känguru. »Geht doch. Zweimal bitte. Und Popcorn und ’ne kleine Cola. Er zahlt.«
    Der Junge wendet sich zu mir.
    »Das macht dann 40 Euro bitte!«
    »Waaas?!?«, ruft das Känguru. »Das sind ja 80 Mark! Das, das, das …«
    Verzweifelt wende ich mein Gesicht gen Himmel. Von der Decke der Lobby hängt ein riesiges Poster. Darauf steht: »Bald in diesem Kino: Disneys Ein gemäßigt sozialdemokratischer Koalabär zum Verlieben ! Natürlich in 3D!«

    34 Ich möchte anregen, dass in einer etwaigen Verfilmung dieses Buches diese Einstellung (und nur diese Einstellung) in 3D gedreht wird. Man könnte den Film dann mit den Worten »Mit einer Einstellung in 3D« bewerben.

Jemand musste das K. verleumdet haben, denn ohne dass es etwas Böses getan hätte, wurde es eines Morgens registriert.
    »Ich will nicht …«, sagte das K., machte eine Bewegung, als reiße es sich von den zwei Gehilfen los, die aber weit von ihm entfernt standen, und wollte weggehen.
    »Nein«, sagte der Gehilfe. »Sie dürfen nicht weggehen, Sie sind ja registriert.«
    »Es sieht so aus«, sagte das K. »Aber warum?«
    »Wir sind nicht dazu bestellt, Ihnen das zu sagen. Gehen Sie ins Wartezimmer, und warten Sie. Die Registrierung ist nun einmal eingeleitet, und Sie werden alles zur richtigen Zeit erfahren. Ich gehe

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