Das Kainsmal

der Tür ging aus.
     
    Neddy Nelson: Und hat uns nicht genau in diesem Moment dieser angebliche Sheriff Carlyle festgenommen?

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Communitas
     
    Dr. Christopher Bing (

Anthropologe): Bei dem bekannten Phänomen der Crash-Partys handelt es sich lediglich um die aktuelle Manifestation eines liminalen Raums, der den Teilnehmern eine Art kathartische Ersatzbefriedigung verschafft, darüber hinaus eine geschlossene Communitas erschafft, innerhalb derer aufgestaute Aggressionen abgeleitet werden können, die sich sonst gegen die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse richten würden.
     
    Aus dem Essay »Liminalität und Communitas« von Victor Turner (

Anthropologe): Propheten einerseits und Künstler andererseits sind in der Regel liminale und marginale Persönlichkeiten, »Randerscheinungen« gewissermaßen, die mit leidenschafdicher Aufrichtigkeit danach streben, sich vom Dominanzstreben und von Rollenklischees zu befreien, um in lebendige Beziehung zu anderen Menschen zu treten, entweder direkt oder vermittelt durch ihre Kunstwerke.
     
    Dr. Christopher Bing: Die Zeit zwischen zwei Lebensphasen wird von Victor Turner in seinem Buch Das Ritual der Entwicklung: Struktur und Anti-Struktur (1969) »Liminalität« oder »Schwellenzeit« genannt. Turner zufolge gründet alles Regelhafte auf Absurdität und Willkür. Das regelmäßig auftretende Chaos liminoider Zeit schafft die Voraussetzungen für eine im Übrigen wohlorganisierte Zivilisation.
     
    Ina Gebert, M. A. (

Theologin): Ein gutes Beispiel für liminale Zeit ist das profane Halloween-Ritual. Für die Dauer eines Abends ist die gewohnte Ordnung auf den Kopf gestellt: Kinder dürfen von Erwachsenen Tribut verlangen. Die Kinder tragen Masken, die Machtsymbole imitieren. Hierzu zählen Gespenster und Skelette als Vertreter des Todes, Hexen als Verderber von Fruchtbarkeit, wilde Tiere wie Wölfe und Löwen oder kulturelle Außenseiter wie Cowboys, Landstreicher und Piraten. Derart maskiert, drohen die Kinder den Erwachsenen, die ihnen nichts schenken wollen, als Strafe Beschädigung ihres Eigentums an.
     
    Dr. Erin Shea (

Theologin): Bekannte Beispiele für liminoide Zeiträume sind das jährliche Burning-Man-Festival in der Black-Rock-Wüste in Nevada, das ConFest in Australien oder das internationale Treffen der Rainbow-Familie und die »Celtic Renaissance« im englischen Glastonbury.
     
    Dr. Christopher Bing: Der Unterschied zwischen liminal und liminoid ist grob gesagt folgender: »liminal« bezieht sich auf ein Ritual, das den Übergang von einer Lebensphase in die nächste markiert: Taufe, Examen, Flitterwochen. Im Gegensatz dazu ist ein typisches »liminoides« Ereignis zum Beispiel ein Rockkonzert, ein Rave oder eine Swingerparty. Man betritt bewusst etwas abseits gelegenere Pfade. Dazu kommt, dass ein liminoides Ereignis nicht kennzeichnend ist für eine Übergangsphase. Das entscheidende Charakteristikum für ein liminoides Ereignis ist, dass alle daran Teilnehmenden gleichberechtigt sind. Gesellschaftliche oder sonstige Rangordnungen gelten nicht, und alle Anwesenden erfreuen sich einer egalitären wechselseitigen Zuneigung. Turner bezeichnete diese spontane Solidarität und Liebe mit dem lateinische Begriff communitas.
     
    Dr. Erin Shea: Kleinere Beispiele für liminoide Ereignisse sind etwa Pilgerreisen, Urlaubsfahrten mit dem Auto, Fight Clubs und Crash-Partys.
     
    Ina Gebert, M. A.: Besonders verbreitete liminale Ereignisse sind Rituale, in denen Mitglieder einer Gesellschaft für einen gewissen Zeitraum ihren jeweiligen Status tauschen. Der König wird zum Diener. Der Diener zum König. Der römischkatholische Papst kniet nieder und wäscht den Armen die Füße. Der Priester der Pfingstgemeinde wälzt sich in vollem Ornat auf dem Boden und redet unverständliches Zeug. An Bord von Atom-U-Booten, die drei Monate lang am Stück im Einsatz sind, tauschen Offiziere und Mannschaft in regelmäßigen Abständen die Rollen, unter anderem bei einem »Jefe Cafe« genannten Ritual, einem formellen Abendessen zur Feier der Halbzeit der Mission, bei dem die Vorgesetzten ihren Untergebenen aufwarten und gehorchen müssen. Gemeinsam ist all diesen Ritualen, dass die kurzfristige Verkehrung der Machtverhältnisse die eigentlichen Machtverhältnisse langfristig sichert.
     
    Dr. Christopher Bing: Im negativen Fall fungieren liminale oder liminoide Ereignisse lediglich als Ventil für aufgestaute Ängste und Probleme und verhindern notwendige