Das Kainsmal
Distanzierung und Aggressivität. Wenn die Gesundheitsbehörde jeden Teenager mit diesen Symptomen behandeln würde ... nun, so viel Geld hat die Regierung einfach nicht.
Dr. Phoebe Truffeau: Nach der auch als »Eklipse« bekannten Inkubationszeit von sechs bis neunzig Tagen repliziert sich das Virus örtlich begrenzt in dem Gewebe um die Infektionsstelle. Durch retrograden axonalen Transport wird das Virus dann rasch im ganzen zentralen Nervensystem verteilt. Es infiziert neuronale Zellen des Hirnstamms, der Medulla, des Hippocampus, der Purkinje-Zellen und des Cerebellum - es dringt in die Zellen ein und repliziert sich dort. Die Folge ist eine Degeneration des Rückenmarks, des Hirns und der Axonen, sowie eine Demyelisierung der weißen Markkörper des Gehirns.
Während die Virusmenge zunimmt, werden die am meisten geschwächten Gewebe, insbesondere die Speicheldrüsen, zunehmend anfälliger. Symptome dieses Prodromalstadiums sind Fieber, Übelkeit, Kopfschmerzen, Erschöpfung und Appetitlosigkeit.
Sean Gardner: Offen gesagt, wenn man sich die heutige Jugend so ansieht, ist es doch kein Wunder, dass wir keinen Verdacht geschöpft haben. Wie die schon tanzen.
Denise Gardner: Sean meinte, es läge an der Musik, die sie hören, dass sie ständig so übellaunig sind.
Sean Gardner: Na ja, meine Frau meinte, das komme von diesen Videospielen.
Dr. Phoebe Truffeau: Auf das Prodromalstadium folgt eine Phase der sensorischen Erregung. Typisch hierfür sind Sialorrhö, Muskelzucken, Schlaflosigkeit, extreme Aggressivität sowie ein Beiß- oder Kauzwang.
Ist die Inkubation erst einmal abgeschlossen und zeigt der Erkrankte verdächtige Symptome, ist eine Behandlung nicht mehr möglich. Das dritte und letzte Stadium der Krankheit ist durch Lähmung und Koma gekennzeichnet. Bei einer anschließenden Autopsie lassen sich Antigene nachweisen, wenn Tollwutantikörper auf Gewebeproben des Hirns gegeben und unter einem Fluoreszenzmikroskop untersucht werden.
Denise Gardner: Als es am schlimmsten war, rief Sylvia Leonard an. Das ist die Mutter von Dean Leonard, einem von Margots Gruftifreunden. Jedenfalls ruft Sylvia an und sagt: Hallo, Deans Fledermaus ist verendet. Das Vieh schläft immer in Deans Wäscheschublade, und heute stinkt es zum Himmel. Tot. Und Sylvia will wissen: Ob Margots Fledermaus vielleicht auch krank ist? Sylvia will wissen: Ob wir die Quittung von der Tierhandlung noch haben, und ob wir die ihr geben können, damit sie das Geld für die tote Fledermaus zurückverlangen kann?
Wir holen den Schuhkarton unter Margots Bett hervor, und der Gestank hat uns fast umgehauen. Wir machen erst gar nicht den Deckel auf. Mein Mann, Sean, trägt die Schachtel in den Garten und begräbt den kleinen Monty dort, wo all die anderen Wüstenrennmäuse, Hamster, Katzen, Goldfische, Eidechsen, Wellensittiche, Meerschweinchen, Mäuse und Kaninchen liegen, die Margot schon erbettelt hat. Wirklich wahr, unser Garten ist gepflastert mit toten Tieren.
Dr. Phoebe Truffeau: Rabies, ein anderes Wort für Tollwut, dieses Wort kommt aus dem Sanskrit und war schon dreitausend Jahre vor Christi Geburt gebräuchlich: rabbas, was so viel heißt wie »Gewalt antun«. Im neunzehnten Jahrhundert war das Virus weltweit verbreitet, besonders stark in Europa. Viele Menschen, die fürchteten, sich angesteckt zu haben, begingen damals Selbstmord.
Infizierte, oder auch nur angeblich Infizierte, wurden nicht selten ermordet. Aus Angst. Oder aus Mitleid.
In historischen Dimensionen betrachtet, ist das Virus durch eine Reihe von Wirtstieren gewandert. Im achtzehnten Jahrhundert waren hauptsächlich Rotfüchse ( Vulpes vulpes) Träger des Virus. In die Neue Welt gelangte es, als diese Tiere von britischen Auswanderern für Fuchsjagden importiert wurden. Im neunzehnten Jahrhundert galt der Streifenskunk (Mephitis mephitis) als Hauptüberträger der Krankheit. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde es der gemeine Waschbär (Procyon lotor) . In geringerem Ausmaß ist der Kojote canis latrans) für durchschnittlich etwa fünfzig Infektionen pro Jahr verantwortlich. Insektenfressende Fledermäuse infizieren im Durchschnitt jährlich siebenhundertfünfzig Personen.
Vor dem Auftreten des Rant-Serotyps des Lyssavirus starben im Jahr nicht mehr als hunderttausend Menschen an Tollwut, die meisten davon in tropischen und subtropischen Regionen. Trotz jährlicher Ausgaben in Höhe von einer Milliarde Dollar für die
Weitere Kostenlose Bücher