Das Kainsmal
es Feuer fängt. Man schmeckt noch den Bourbon in seinem Mund. Der Sitzgurt spannt sich so straff, dass er einem ins Fleisch schneidet. Die Armlehnen zittern unter den Ellbogen, die Knochen versteifen sich, alle Gelenke knirschen unter den verkrampften Muskeln. Und am Ende eines geboosteten Todes kommt der Piepton, der das Ende der Übertragung anzeigt. Der Zeuge hatte in diesem Fall seiner Frau die Neurodatei aufs Handy geschickt.
Wenn man den Port bei sich im Nacken aktiviert, überträgt man einen Datenstrom seiner Nervenreize. Man sendet sozusagen Erfahrungen und Erlebnisse. Dieser Vorgang heißt im Fachchinesisch »outcording«.
»Script artist« ist hingegen die offizielle Bezeichnung für jemanden, der an den Neurodateien herumspielt, das heißt, der die einzelnen Tracks bootet, boostet oder dampt, je nachdem.
Geld machen zu wollen mit solchen Kunstwerken, kann man vergessen. Kein Studio will was mit radikal remixten Peaks zu tun haben, für so etwas gibt es keinen Markt. Die Studios haben ihre eigenen Vorstellungen. Die bringen Eine Reise durch die Antarktis raus, aufgezeichnet von einem Hauptzeugen wie Robert Mason, der stolz darauf zu sein scheint, dass er null Emotionen zeigt. Aber vorher dampen sie selbst diesen Peak noch, indem sie ihn durch einen kastrierten Kater, einen katholischen Priester oder eine mit zu viel Östrogen behandelte Hausfrau laufen lassen. Alles, was auf den Markt kommt, ist labbrig und lasch. Fastfood-Transkripte.
Und jetzt gibt's neuerdings auch noch diese automatische Abbruchfunktion. Übersteigt während einer Übertragung deine Pulsfrequenz oder dein Blutdruck die gesetzlich festgelegten Grenzwerte, wird die Aufzeichnung abgebrochen. Bloß weil ein Haufen Anwälte darauf angesetzt ist, der Industrie den Arsch zu retten.
Und so eine dumpfe, verkitschte, ausgewogene Kacke ist dann das perfekte Geschenk.
Das ist so was von langweilig, und trotzdem war unser meistverkaufter Artikel im letzten Jahr Mit historischen Dampflokomotiven durchs Ljznd. Ohne Scheiß. Aufzeichnungen von insgesamt zweiundsiebzig Stunden Länge, wo man die ganze Zeit bloß in einem beschissenen Zug sitzt und draußen die Landschaft vorbeiziehen sieht. Man riecht die Polster, das Putzmittel. Im Studio hat man sich bei der Nachbearbeitung nicht mal die Mühe gemacht, den chemischen Gestank zu dampen. Der Zeuge, Robert Mason, trägt eine Wollhose, die einen während der ganzen Fahrt an den Beinen kratzt. Und er hat sich mit Old Spiee eingesprüht. Der Höhepunkt ist ein Gang in den Speisewagen, wo man zum Frühstück ein fettiges Omelett mit Speck bekommt.
Hätte ich das Transkript gemacht, wäre ich bei jedem Halt aus dem Zug gestiegen. Hätte mich in Städten wie Reno, Cincinnati oder Missoula ein bisschen umgesehen. Dann hätte ich das Ganze durch einen Hund laufen lassen - ein altbewährter Trick, um die Geruchsspur zu verstärken. Da kommen die Gerüche erst so richtig zur Geltung. Für die Geschmacksspur würde ich mich bei den besten Gourmet-Peaks bedienen und die Aufzeichnung dann durch einen halbverhungerten filtern, dann explodieren die einzelnen Aromen förmlich. Diesen Arbeitsschritt nennt man »schleifen«.
Die Szene besteht zur Hälfte aus Freaks, die für alle möglichen Peaks Zeugen doubeln, um die Sache aufzupeppen. Da werden Blinde angeheuert, um die Audiospur zu verbessern. Das ist natürlich streng verboten, und trotzdem, man lässt die Tastspur durch irgendein einjähriges Baby laufen, und schon fühlt sich Samt wie Samt an. Und Granit wie Granit. Da gibt es dann nichts mehr zu deuteln. Babys dürfen natürlich noch gar keinen Port im Nacken haben, aber man sieht sie überall. In der Szene arbeiten genug Arschlöcher, die keine Skrupel haben, deine Porno-Peaks mit den Transkripten ihrer Kinder zu remixen. Widerlich, aber man erkennt solche reboosteten Porno-Peaks an der weichen, empfindlichen Haut der Kinder. Kein Wunder, dass die wirkliche Welt da nicht mithalten kann.
Babys verstärken die Tastspur. Blinde lassen die Geräusche stärker hervortreten. Hungrige die Geschmacksspur. Hunde die Gerüche. Zur Steigerung der visuellen Eindrücke schwören manche Produktionstechniker auf Vögel. Falken. Also Greifvögel. In der Schule kannte ich welche, die ihre Peaks durch Taubstumme gejagt haben, weil das ihrer Meinung nach der optischen Spur die höchste Auflösung gab. Dann nimmt man alle diese reboosteten Tracks, mischt sie ab und hat am Ende eine Zugfahrt, die sich gewaschen hat. Ich
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