Das kalte Gift der Rache
Dass es die Bären nicht fressen?« Bud von seiner amüsantesten Seite. Das Lächeln war ihm jedoch vergangen. Mir übrigens auch.
»Warum sollte der Täter Sorge tragen, dass die Leiche nicht von wilden Tieren zerrissen wird? Meinst du, er wollte, dass wir Classon quasi intakt auffinden?«
Bud zuckte mit den Schultern. Er kaute Juicy Fruit. »Vielleicht erfahren wir ja mehr, wenn wir sehen, wie das Opfer unter diesem Müllsack aussieht.«
»Richtig.« Ein weiteres unfreiwilliges Schaudern. Ich war mir nicht sicher, ob ich wissen wollte, was sich unterhalb der schwarzen Plastikhülle verbarg. »Okay, nun kommt es darauf an, wie wir die Leiche herunterkriegen, ohne Beweise zu vernichten. Buckeye und sein Team werden jede Minute eintreffen. Meinst du, wir könnten ihn mit der Seilwinde des Abschleppwagens runter-kriegen?«
Bud schüttelte den Kopf. »Kommt nicht hin. Vielleicht sollten wir ein Feuerwehrauto mit einem Rettungskorb anfordern. Sollte es irgendwelche Hinterlassenschaften des Täters geben, dann sowieso unter der Schneedecke. Lass uns ein paar Fotos von der unmittelbaren Umgebung des Baumstamms machen, dann kann das Feuerwehrauto nahe genug ranfahren. Zuerst muss Buckeye rauf, um Fotos von der Leiche zu machen, ehe wir sie nach unten schaffen.«
»Setz dich mit Buck in Verbindung, Bud. Ich will wissen, wann ungefähr er hier sein wird. Dann ruf die Feuerwehr an. Ich will Classon so schnell wie möglich unten und außer Sichtweite der Schule haben.«
Es dauerte eine Weile, den Schauplatz nach Fußabdrücken und anderen Beweisspuren abzusuchen, aber wie erwartet fanden wir nichts. Dann zogen wir uns in Buds Bronco zurück, die Heizung volle Pulle aufgedreht, und warteten auf das Eintreffen des Gerichtsmediziners. Bud entdeckte einen Doughnut auf dem Boden, der vor ein paar Tagen aus der Schachtel gefallen sein musste, und putzte ihn einfach ab, um ihn zum Frühstück zu präparieren. Also was sein Äußeres betraf, war er ja nun wirklich penibel bis zum Gehtnichtmehr, sobald er aber Hunger hatte, spielten Dreck und Schmutz bei ihm keine Rolle. Tatsächlich entpuppte sich das Ding jedoch als eines dieser Wahnsinnsgebäckteile mit Pekannüssen obendrauf, schon leicht versteinert, das ich, als er es mir anbot, trotzdem gern annahm und in meinen Kaffee tunkte, um es aufzuweichen.
Etwa zwanzig Minuten später trafen Buckeye und seine Leute ein, dicht gefolgt von einem schweren Fahrzeug der Bezirksfeuerwehr Canton. Als ich ausstieg, um sie zu begrüßen, türmten sich am Himmel neue graue Wolkenberge, die nur darauf warteten, noch einen halben Meter Schnee mehr über dem See abzuladen.
Buckeye Boyd war unser Gerichtsmediziner. Er sah aus wie Captain Kangaroo aus dieser uralten Kindersendung und ging gern angeln, anders ausgedrückt, er fühlte sich geradezu manisch zur Barschfischerei hingezogen. Für die schönsten Trophäen gab es in seinem Haus einen eigenen Raum, und er besaß an die sechshundert Angelruten und Spulen und vielfarbige Plastikwürmer. In seinem Beruf war er nicht zu überbieten, und in den zehn Jahren, in denen er das Sagen hatte, war nie ein Fehler passiert, aufgrund dessen ein Fall unaufgeklärt geblieben wäre.
»Verdammt, ich dachte, wir hätten jetzt erst mal unsere Ruhe nach dem ganzen Scheiß im letzten Sommer«, sagte er und trank einen Schluck Kaffee aus dem Styroporbecher in seiner Hand. Der Duft von Vanille-Cappuccino wehte lecker zu mir herüber.
Das Schlusslicht bildete mein guter Freund John Becker, auch Shaggy genannt, Shag oder Shag Man. Er trug weder Mütze noch Handschuhe und trank Mello Yello aus einer eisbeschlagenen Großflasche, was ein ziemlich genaues Bild von ihm vermittelt. Aber dafür ist er ein Kriminalist erster Güte. Wenn es an einem Tatort auch nur noch ein klitzekleines Fitzelchen von Beweisstück gibt, er spürt es auf. Er grinste.
»Wie geht’s, Claire? Dieser Fall dürfte genau das sein, was du brauchst, um dich wieder einzugewöhnen und ein bisschen warmzulaufen.«
»Ich bin schon wieder voll auf Touren. Letzte Nacht war ich der Star einer Razzia im Rotlichtmilieu.«
»Verdammter Mist! Soll das heißen, ich hab es verpasst, dich in diesen heißen Höschen und Netzstrümpfen zu sehen? Warum hat mich denn Bud nicht wie sonst angerufen? Stammt daher dieses Souvenir im Gesicht?«
Ich nickte, Buckeye jedoch ignorierte Shaggys lockeres Gefrotzel und blinzelte im grellen Schneelicht, als er die schneebeladenen Äste über ihren Köpfen beäugte. »Also
Weitere Kostenlose Bücher