Das kalte Gift der Rache
nicht. Sieht so aus, als hätte der Täter das Seil unter den Achseln festgezurrt, damit er sich nicht stranguliert. Wer auch immer ihn umgebracht hat, die Person wollte Classon in erster Linie dort oben hängen haben, lebend und leidend.«
Buckeye sagte: »Wir nehmen die Leiche mit, so wie sie ist. Hier draußen im Schnee will ich den Müllsack nicht öffnen, nicht bei dieser Temperatur. Wenn er sehr lange draußen war, müssen wir die Leiche sowieso erst auftauen, eher wir sie obduzieren können. Helft mir doch, sie auf die Trage zu schaffen.«
Während Bud und Shaggy die Trage klarmachten, betrachtete ich Simon Classons Gesicht und fragte mich, wer ihn so gehasst und sich so viel Mühe gemacht haben könnte, um nur ja sicherzustellen, dass er langsam und qualvoll und in Sichtweite seiner Freunde und Kollegen starb. Ich dachte an alle die Engel, mit denen Classons Haus zugepflastert war, und fragte mich, ob er nun bei ihnen wäre. Als er aber dann die Augen öffnete und mich ansah, blieb mir das Herz stehen.
»O mein Gott, Bud, er lebt noch.«
7
Wir packten Classon unverzüglich in den Wagen der Tatortermittler, um ihn ins Krankenhaus zu bringen. Ich saß hinten, während Buckeye Boyd gekonnt über die eisglatten Straßen kurvte und schlingerte, als wäre er Tony Stewart auf dem Talladega Superspeedway. Bud raste in seinem Bronco dicht hinter uns her und machte seinen Fahrkünsten auch als Südstaatler alle Ehre. Ich deckte Simon Classon mit ein paar Leichenhallendecken zu, denn hinten gab es keine Heizung, weil es sich nie zuvor ergeben hatte, ein lebendes Mordopfer zu transportieren. Buckeye riet mir, den wärmenden Müllsack an Classon dranzulassen, bis wir die Notaufnahme erreicht hatten. Ich beugte mich nach vorne und hielt die Decken fest, aber auch, um seinem halb erfrorenen Körper etwas Wärme zu spenden.
Um die Wahrheit zu sagen, ich war schockiert angesichts der bizarren Wendung der Ereignisse, aber nun, da er am Leben war, könnte er uns vielleicht sagen, wer ihm das angetan hatte. Simon Classon lag absolut reglos da, atmete nicht einmal, soweit ich das sagen konnte, aber ab und zu flatterten seine eisverkrusteten Augenlider ein wenig. Ich musste es versuchen.
»Simon, können Sie mich verstehen?« Ich hatte noch immer meine Latexhandschuhe an und zog ihm das Klebeband vom Mund, steckte es in eine Beweismitteltüte und ging dann sehr dicht an ihn heran, starrte auf seine blauen Lippen in der Hoffnung, er würde etwas sagen, irgendetwas, das uns helfen würde, seine Peiniger aufzuspüren. »Wer hat das getan, Simon? Bitte, versuchen Sie zu sprechen, versuchen Sie, es mir zu sagen. Wer hat das getan?«
Simon Classon bewegte sich nicht, äußerte kein Wort, nicht einmal ein Stöhnen; ich gab auf und versuchte, seinen Kopf festzuhalten, während Buckeye, ebenfalls völlig aufgelöst, über die schneebedeckten Straßen schlingerte. Wir erreichten das Canton County Medical Center in weniger als zwanzig Minuten, und ich machte eilends Platz, als das Notarztteam im Laufschritt herankam, die Tragbahre herausfuhr und aufstellte und mit Classon im Gebäude verschwand. Buckeye und ich folgten ihnen, zückten unsere Abzeichen vor der Security, während Classon durch Schwingtüren hindurch in einen grün verhangenen Schockraum gerollt wurde.
»Was ist passiert?« Der verantwortliche Arzt, ein junges Babygesicht wie Noah Wyle, beobachtete ruhig und konzentriert, wie sein Team das Opfer auf den Untersuchungstisch hievte. Auf seinem Namensschild stand Dr. Bingham.
»Versuchter Mord. Wir dachten, er wäre tot, bis er die Augen aufmachte.«
»Okay, nun der Müllsack, schnell.«
Zur der Zeit ungefähr kam Bud angerannt und wir gingen einen Schritt zur Seite, während sich die Schwestern mit Scheren an der schwarzen Plastikhülle zu schaffen machten. Eine von ihnen kannte ich von meinem Klinikaufenthalt im letzten Sommer, Chris Dale, wahrscheinlich eine der bestexaminierten Schwestern im ganzen County. Ich war froh, dass sie Dienst hatte. Als die Plastikhülle endlich zu Boden fiel, griff sie sich Buckeye sofort und stopfte sie in eine große Beweismitteltüte; offenbar erwartete er nicht, dass der Mann überleben würde. Unterhalb des Müllsacks steckte Simon Classon bis zum Hals in einem braunen Daunenschlafsack von der Army.
Bud sagte: »Deshalb also konnte er die kalte Nacht im Wald überleben.«
Ich trat näher, als Dr. Bingham den Reißverschluss herunterzog und die Schwestern den Körper enthüllten,
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