Das kalte Gift der Rache
Wolfsspinnen und ein paar große haarige Tarantulas, die hier in den Wäldern leben, und ganz viele, viele Braune Einsiedlerspinnen. Wenn die dich beißen, ist es ganz schlimm. An den Stellen beginnt das Fleisch regelrecht zu verfaulen, wusstest du das? Es entstehen richtige offene Löcher in den Armen und Beinen, oder egal wo, echt, die Wunden können so groß werden wie eine Grapefruit. Hab ich selbst schon gesehen, auf Bildern, die ich in der Bibliothek gefunden habe.«
Uriel wurde leicht schlecht. »Wie kann das sein, dass Löcher entstehen?«
»Das Gift ist einfach so stark. Man nennt das, glaub ich, Nekrose, wenn das Fleisch wegfault. Es passiert nicht bei jedem Biss, aber oft. Diese Schwarze Witwe da ist anders. Sie produziert ein Nervengift, das lähmend wirkt. Dann verflüssigt das Gift das Fleisch der Beute, damit sie es leichter verspeisen kann. Du musst dir das so vorstellen, Uriel: Die Witwe fängt die Beute in ihrem Netz, Fliegen und Mücken und so Zeug, dann bohrt sie kleine Löcher hinein und saugt die Körperflüssigkeit aus. Und nach der Begattung fressen die Weibchen die Männchen auf. Du weißt ja, wie die Frauen sind.« Er lachte.
»Was heißt begatten?«, fragte Uriel, nicht ganz sicher, ob er je begatten wollte, was auch immer das war.
»Ach komm, du weißt doch, begatten, damit Babys entstehen, Jungspinnen, wie man sagt. Ich wette, das hast du auch nicht gewusst, oder? Ich züchte Spinnen. Siehst du all diese Gläser dort? Sie sind voll von Jungspinnen. Du kannst mir dabei helfen, sie aufzuziehen.«
Uriel erschauerte, tat aber so, als ob ihm kalt wäre. »Was willst du denn mit so vielen Spinnen?«
»Ich mag sie einfach, das ist alles. Und manchmal benutze ich sie, um die Leute zu erschrecken.«
»Wirklich?«
»Ja. Beim letzten Gemeindepicknick hab ich heimlich eine auf den Kartoffelbrei deiner Großmutter gesetzt, als sie sich gerade unterhalten hat. Du hättest sehen sollen, wie sie den Teller von sich geschmissen hat. Dabei fiel sie aus ihrem Rollstuhl und hat sich die Knie aufgeschürft.« Gabriel lachte und wuschelte Uriels Haare. »Hab doch gesagt, dass ich kein Engel bin. Hey, ich hab ’ne Idee. Wir jagen Freddy einen Schreck ein mit einer meiner Spinnen. Das hat er verdient, bei dem, was er dir angetan hat.«
Uriel wusste nicht, ob er es gut fand, dass seine Großmutter wegen Gabriel aus dem Rollstuhl gefallen war, sie war doch so alt, und überhaupt, sie wirkte so schwach und zerbrechlich. »Ich weiß nicht. Kommt mir alles so gemein vor.«
Gabriel runzelte die Stirn. »Aber Freddy hat dich immerhin zu Tode erschreckt, oder nicht?«
»Doch, hat er, ja.«
»Hast du nicht geglaubt, die begraben dich bei lebendigem Leib? Immerhin hast du geschrien, als wärst du zu Tode erschreckt.«
»Ja, ich hatte wirklich Angst, bis du gekommen bist und mich gerettet hast.«
»Dann müssen wir es ihm heimzahlen. Wir nehmen eine Schlange, wenn dir das lieber ist. Aber weißt du was? Die meisten haben mehr Angst vor winzig kleinen Spinnen als vor großen Schlangen. Das kapier ich nicht. Spinnen sind so klein und niedlich mit ihren vielen langen Beinen. Und die schönen Netze, die sie spinnen. Die sind aus Seide, weißt du, und die Muster sehen fast so aus wie die Spitzengardinen deiner Großmutter.«
»Schon irgendwie schön, stimmt«, gab Uriel zu, indem er einen Blick auf das Wirrwarr der Netze in den Behältern warf. »Aber dieses große Ding da auf dem Boden, was ist das?«
»Ein Streifenhörnchen. Hab ich da reingesetzt, um zu sehen, was passiert. Die Witwe hat es getötet und ganz in dieses Netz eingesponnen. Hat ewig gedauert, aber ich glaube, sie will es frisch halten, als kleinen Pausensnack für später.« Gabriel grinste. »Lecker, nicht wahr? Sie fressen alle möglichen Arten von Insekten, aber auch Kleintiere wie Frösche und Eidechsen. Einen Menschen können sie nicht töten, aber kleine Babys schon, sicher. Vor allem, wenn viele Spinnen zubeißen.«
Uriel nickte und versuchte dabei, das Streifenhörnchen durch den weißen Kokon hindurch zu erkennen. Soweit er es erkennen konnte, war von dem armen kleinen Ding nicht mehr viel übrig.
Nach dem Abendessen an jenem Tag setzte sich Uriel vor ein merkwürdiges altes Radiogerät, das fast so groß wie ein Fernseher war. Seine Großmutter nannte das eine Motorola-Konsole und sagte, sie höre gern Gospelmusik und Spiele von den St. Louis Cardinals. Er antwortete, er höre am liebsten Übertragungen von Spielen der Pittsburgh
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