Das kalte Jahr: Roman (German Edition)
ein wenig vor der Kälte draußen und den schweren Geräten im Laden.
Ich denke zu dieser Zeit auch ernsthaft darüber nach, in den ersten Stock ins Bett meiner Eltern überzusiedeln. Am Ende vertage ich die Entscheidung aber doch immer wieder auf den nächsten Abend, an dem ich dann zu müde bin, um nicht einfach nur unten im gutgeheizten Wohnzimmer einzuschlafen. Ich glaube nicht, dass es Richard gefallen hätte, wenn er den ersten Stock dauerhaft mit mir hätte teilen müssen, auch wenn ich ihn nie einen anderen Raum als mein altes Zimmer habe benutzen sehen. Außerdem denke ich damals noch, dass ich mich mit dem Verschwinden meiner Eltern auf eine finale Art abgefunden hätte, wenn ich in ihr Schlafzimmer einziehen, ihre ordentlich gemachten Betten aufwühlen, den Staub von den Kästen wischen und diese letzten deutlich lesbaren Anzeichen ihrer Abwesenheit auslöschen würde.
Als ich das Haus verlasse, liegt draußen noch Dunkelheit über dem Ort. Es ist eine ganz unsinnige Menge Schnee gefallen in der Nacht, durch den ich mit großen Schritten steigen muss. Am Gartentor ist dann meine Hose schon bis unter die Knie mit Schnee beklebt und während ich weiterlaufe, schmilzt etwas davon in meinen Schuhen, die Socken werden nass und das Gefühl weicht mir aus den Füßen, noch bevor ich am Ende der Straße meiner Eltern angekommen bin.
Als ich die Strandpromenade erreiche, wo vom Meer her nur ein leichter Eiswind bläst, sehe ich im Osten, hinter dem Ort, über den schwarzknochigen Kronen der Wälder, einen Streifen Helligkeit. Es ist ein grauer, langgezogener, schwächlich schimmernder Streifen und ich sehe gleich ganz deutlich vor mir, dass dieser Tag, wie alle anderen, wieder in trüb verhangener Diesigkeit vergehen wird.
Und trotzdem ist mir an diesem Morgen, als ich den unbeweglichen grauen Streifen hinten am Himmel sehe und weiß, dass er sich ausbreiten wird, mit einem Mal ganz klar, dass es sich bei dieser Erde noch um einen Planeten unter anderen handelt, die im All dahinkreisen um eine Sonne, die sich hier zwar niemals sehen lässt, deren Existenz aber trotzdem durch jeden Morgen zweifelsfrei bewiesen ist. In dem Moment gibt mir das ein großes Gefühl von Ruhe. Ich versuche, lange auszuatmen wie für ein Seufzen, werde dabei aber vom Klappern meiner Zähne unterbrochen und halte es schließlich doch für besser, schnell weiterzugehen.
Der Laden ist bereits geöffnet und Herr Letterau, der ausgeschlafen und aufgeschlossen hinter seinem Verkaufstresen steht, befindet sich im Kundengespräch. Ein wahrscheinlich aus Groll früh an diesem Tag aus seinem Bett gestiegener Bewohner des Ortes, soviel höre ich gleich heraus aus dem Gespräch, ist gekommen, um ein von Herrn Letterau repariertes Radiogerät zu reklamieren. Er hält das Radio, das nicht besonders groß ist und aus schwarzem Plastik, in seiner Hand, das Stromkabel hängt herab und der Mann macht immer wieder servierende und ruckartige Bewegungen mit dem Gerät, als zeige sich dadurch schon, dass eine große Unverschämtheit ins Gehäuse eingezogen ist, die unverzüglich ausgetrieben werden muss, kostenlos und endgültig.
Ich stehe hinter dem Kunden, als würde ich selbst darauf warten, bedient zu werden, schaue ihm von hinten über die Schulter, Herr Letterau nickt mir kurz und sehr souverän zu und sagt dann:
Auf laute Töne folgende leise hören wir grundsätzlich lauter. Wenn zum Beispiel die Werbung übergeht in Nachrichten. Da hilft es auch nicht, am Regler zu drehen, der übrigens vollkommen in Ordnung ist. Das ist auch keine Folge der physiologischen Konstruktion Ihres Ohrs. Meistens ist es einfach nur die Angst, ungebührlichen Lärm verursacht zu haben, die uns plötzlich scharf hören lässt. Also eine Folge unserer eingeflüsterten Unterwürfigkeit. Sie können aber, sagt er dann, gerne meinem Mitarbeiter hier das Gerät nocheinmal zur eingehenden Überprüfung dalassen. Das wird Ihnen natürlich auch nicht berechnet.
Nachdem der Bewohner den Laden verlassen hat, stecken wir das Gerät in der Werkstatt in eine Steckdose nahe am Fenster ein und vergessen es für die restliche Woche.
An diesem Tag werde ich von Herrn Letterau aufgefordert, eine Reihe fehlerhafter Fernsehgeräte zu überprüfen und ihm, sobald er aus dem Außendienst zurück kommt, eine Liste auszuhändigen von Störungsursachen und zur Fehlerbehebung benötigter Bauteile.
Dann sitze ich alleine in der Werkstatt, den Laden unter meiner Verantwortung, frage mich, womit
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