Das kalte Jahr: Roman (German Edition)
zusammengebauten Fernbedienungen säuberlich in die Kiste gestapelt habe, sitze ich wieder eine Weile auf dem Stuhl am Arbeitsplatz in der Werkstatt, klopfe einen leisen Rhythmus mit den Fingerspitzen auf meine Kniescheiben und warte so lange, bis Herr Letterau schließlich den Lötkolben in die Station steckt, vom Gerät aufschaut und mich plötzlich anstrahlt, als hätte er irgendwo in dem tiefen Gewirr des Fernsehgehäuses doch wieder einen Grund dafür gefunden, ein soziales Wesen zu sein.
Herr Letterau bezeichnet es, nicht ohne eine gewisse Genugtuung, als die neue Wetterlage , während er mich einweist in ein neues Aufgabengebiet.
Die neue Wetterlage, sagt er, hat mir, und ich glaube, da bin ich allein im Ort, rein geschäftlich überhaupt nichts anhaben können. Ich habe die Bilanzen noch nicht vorliegen, sagt er, aber ich kann Ihnen sagen, dass es sehr gut steht um diesen Betrieb. Herr Letterau macht einen konspirativen Buckel, während er mit mir spricht. Sein ganzer Körper steht da wie eine vorgehaltene Hand, die uns und die sorgenfreie Finanzlage von der Außenwelt abschirmt. Ich gebe zu, sagt er, dass es für den unterhaltungselektronischen Einzelhandel einfach nicht besser hätte kommen können, als dass jetzt alle gezwungenermaßen zu Hause sitzen müssen, aber es war schon auch etwas mehr noch nötig, ein wenig Initiative, an der es den Leuten hier, nehmen Sie es persönlich, wenn Sie wollen, einfach fehlt. Als das Militär den Ort verlassen hat, haben sich alle in ihr Schicksal gefügt, und ich sehe, das wiederholt sich jetzt auf dieselbe Art. Die Unternehmer in diesem Ort sind in ihrer Abhängigkeit gemütlich eingerichtet. Es ist gar nicht so schwer, da ein wenig herauszuragen, und ich habe es Ihnen schon mehrfach gesagt, es zahlt sich aus, wenn man sich früh und von da an für immer auf die höchste Qualität beschränkt.
Herr Letterau führt mich in den ersten Stock, wo von einem kurzen Flur drei Türen abgehen. Eine davon ist die Mitarbeitertoilette, die andere der Lagerraum für Putzmittel, und die dritte, die er öffnet, führt in einen schlauchartigen Raum, der nach einigen Metern im rechten Winkel abknickt und an der Fensterfront entlangführt, von der aus man den Strand und das Meer überblicken kann.
Es ist schon dunkel geworden, also sehe ich an diesem frühen Abend nur das gelbliche Glosen der Laternen vor dem Haus, das sich ein Stück weit über den verschneiten Strand erstreckt und dann verliert. Der Rest ist wieder gespiegelter Innenraum im Fensterglas, Regale voller Geräte, hauptsächlich Videorekorder und Radios, aufeinandergeschichtete Computertastaturen, vor den Fenstern ist auf der ganzen Länge eine Arbeitsplatte angebracht, auf der einige Messgeräte stehen, Präzisionswerkzeug, winzige Schraubenzieher und Imbusschlüssel, Pinzetten, Kontaktspray, Kriechöl, ein paar schmuddlige Lappen und überall kleine Döschen mit sehr kleinen Schräubchen, die außer Herrn Letterau niemand mehr ihrer Herkunft zuordnen könnte.
Mittig auf dieser Arbeitsplatte befindet sich eine ordentlich frei geräumte Stelle, auf der ein kleiner, würfelförmiger Fernseher steht und oben auf dem Fernseher ein Videorekorder. Vor den Geräten liegen zwei Fernbedienungen, parallel zueinander und zum Einsatz bereit.
Es ist, erklärt mir Letterau, bei diesen Verhältnissen, und dabei deutet er mit einem Finger, ohne selbst hochzuschauen, nach oben, wo auf dem weißen Gipsquadrat der Unterhangdecke ein gelblicher Wasserfleck zu sehen ist, doch ich weiß schon, dass er den Himmel meint, fast unmöglich, ein vernünftiges Fernsehsignal zu empfangen. Sie wissen ja, dass wir aufgrund des Meeres und des munitionsverseuchten Sperrgebietes, durch das keine Kabel gezogen werden können, noch immer auf eine etwas altmodische Art von den Signalen aus der Luft abhängig sind. Wenn Sie da eine gewöhnliche Fernsehantenne auf Ihrem Dach stehen haben oder einen Parabolspiegel an Ihrem Balkon, da können Sie sich eigentlich genauso gut einen Kleiderbügel hinten in Ihr Gerät reinstecken. Es zeigt Ihnen wieder nur den ewigen Schnee. Und Sie können sich vorstellen, dass die Leute damit über ihren Bedarf hinaus bedient sind. Die wenigsten Menschen im Ort leisten sich eine so hochwertige Anlage, wie wir sie hier natürlich auf dem Dach haben. Es ist sehr schwierig ihnen diese Investition schmackhaft zu machen, weil sie selbst mit den leistungsstärksten Systemen noch kein restlos befriedigendes Resultat erzielen
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