Das kalte Jahr: Roman (German Edition)
Richard seinen Tag zubringt und was ich anstellen soll, falls Kundschaft erscheint.
Ich hob einen der defekten Fernseher auf einen Rollwagen, den Schmerz im Rücken, schob ihn zu einem der Arbeitsplätze hin, schraubte die Rückwand ab und zog die grüne, nach verbranntem Staub riechende Leiterplatte aus dem Gehäuse hervor. Ein Ablauf von Arbeitsschritten, den ich schon oft bei Herrn Letterau beobachtet hatte.
Auf der Leiterplatte befindet sich ein weiter, graubraun verstaubter Wald aus Bauteilen, die unterschiedlich geformt sind. Manche sind sehr klein und tragen bunte Ringe auf ihren Rücken, andere ragen dick und zylindrisch aus dem Gedränge hoch wie Bankentürme aus einer Großstadt.
Ich nahm das Oszilloskop am Arbeitstisch in Betrieb und hielt seine beiden Messfühler an verschiedene Orte im Gerät. Auf dem kleinen Bildschirm erschienen Kurven unterschiedlicher Länge und Form. Dann suchte ich anhand der Gerätekennziffer aus einem hohen Regal voller Ordner den passenden Schaltplan für das Gerät heraus, faltete ihn vor mir auf und musste mir spätestens beim Anblick der Linien und Kästen, die sich ohne ersichtliches System über das Papier verteilten, eingestehen, dass ich keine Ahnung davon habe, wie man ein Fernsehgerät repariert.
Ich starrte eine Weile in das rückwärtig geöffnete Gerät, schloss es dann so an den Stromkreislauf an, stellte mich davor und nahm es, voller Ehrfurcht, nach langem Zögern in Betrieb. Die grüne Leuchte vorne am Gehäuse leuchtete ganz kurz auf, erlosch dann aber sofort wieder und es ging nur ein statisches Knistern über die Bildröhre, das ich noch auf meinen Fingern fühlen konnte, als ich mit ihnen über das Glas fuhr. Ich versuchte den Vorgang zu wiederholen, weil mir das Gefühl der statischen Elektrizität auf meiner Haut gut gefallen hatte, wie Millionen feine Härchen oder Insektenbeine, aber es passierte dann gar nichts mehr, als ich den Knopf drückte. Das Bild blieb dunkel, blieb der grauschwarz gewölbte Spiegel, in dem ich wieder mich selbst sehen konnte, mich und die Werkstatt und die verschiedenen Geräte. Irgendwo hinter mir im Regal stand ein Fernsehgerät, auf dem das symmetrisch bunte Testbild lief. Und mir wurde wieder überdeutlich bewusst, dass im Innern der Bildröhren ein Vakuum herrscht. Wie die Wildnis, dachte ich, oder wie ein großer Wirbelsturm, haben die Fernseher das Nichts in ihren Herzen.
Ich schrecke auf, als Herr Letterau zurückkommt und die Ladentür hinter sich schließt, aufstampft und den Schnee mit einem flappenden Geräusch aus dem Mantelkragen schüttelt.
Ich hatte mich wieder hingesetzt und hielt noch ein paar kleine Bauteile in der Hand, die ich mir genauer ansehen wollte, wobei ich irgendwie in eine Abwesenheit von ungewisser Dauer weggerutscht war. Der Stuhl am Arbeitstisch war sehr bequem, die Geräte brummelten einzeln vor sich hin, die Lüftung und das leise Sirren der Neonröhren an der Decke, eine Lötstation nahm sich mit einem kurzen Klicken in Betrieb, wenn der Kolben zu weit runtergekühlt war, sonst war es ruhig.
Ich zeige Herrn Letterau die beiden Bauteile, die ich in der Hand halte, an deren Namen ich mich noch erinnern kann, es handelt sich um einen Elektrolytkondensator und ein Trimmpotentiometer. Er will von mir wissen, was ich damit vorhabe und ich sage ihm, was ich über den Fernseher herausgefunden habe, der auf dem kleinen Rollwagen steht, nämlich nichts.
Herr Letterau schaut kurz sehr ernst in das geöffnete Gerät, wo die feinen Haare des braunen Staubfilms in einem kaum spürbaren Luftzug zittern. Ich erhalte Anweisung, das Ganze erst mal ordentlich sauber zu machen mit einem Staubsauger und einem feuchten Tuch. Danach stellt Herr Letterau eine Kiste verschiedener Fernbedienungen auf meinen Arbeitsplatz, die von den Ortsbewohnern als defekt eingeliefert wurden und die ich sämtlich auseinanderbaue und ebenfalls reinige, mit Wattestäbchen und Brennspiritus, von einem innen dick angekrusteten, schorfigen Film aus Haut, Popel, Staub, Nikotin, Hundespeichel und Pfefferminzlikör, der sich zwischen den Tasten und der Kontaktmatte gebildet hat.
Mir wird von dieser Arbeit sehr übel und mir fällt nichts ein, worüber ich mit Herrn Letterau sprechen könnte, der selbst jetzt hinter einem geöffneten Gerät sitzt, einen Schaltplan studiert, misst und lötet und dabei viele konzentrierte oder grimmige Falten auf seiner Stirn hat.
Als ich mit meiner Arbeit fertig bin und die gereinigten,
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