Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
Vom Netzwerk:
Andere, die mir zu zerbrechlich aussahen, ließ ich liegen und versuchte mir aus der Distanz eine Vorstellung davon zu machen, worum es sich bei ihnen handeln könnte.
    Eine tiefe Enttäuschung machte sich in mir breit. Langsam und stetig, wie das Meer, das übers Land kriecht nach der Ebbe.
    Alles, was ich in den Händen hielt oder vor mir in den Schachteln liegen sah, war zusammengeschustert, wahllos vernagelt, irgendwo ohne Sinn zerbrochen oder abgesägt. Gebilde ohne erkennbaren Zweck oder Formwillen, krummgeschlagene Nägel, Holzschrauben, die unten spitz aus dünnen Brettern hervorschauten, ohne etwas zu befestigen, umständliche Knoten in abgewickelter Paketschnur, dicke Heißklebertropfen, Nachlässigkeit. Ich besah mir den Großteil der Arbeiten und erkannte daran nichts als eine einzige Verschwendung von Zeit und Material.
    Mir summten die Ohren. Dort, wo ich in den Raum gekommen war, hatten sich die feinen Härchen des Teppichbodens schon wieder aufgerichtet. Sonst wären dort wohl Spuren zu sehen gewesen.
    Einen Moment lang überlegte ich, einfach alles so offen stehen zu lassen, sammelte dann aber doch die Deckel vom Fußboden auf und packte die einzelnen Teile ordentlich zurück in die Schachteln.
    Beim Aufräumen fiel mein Blick noch auf einige Batterien, die mit Klebeband zu einem Block zusammengefügt waren. Ein Bündel Schaltdraht ging von den Kontakten ab. Ich sah vier schräg abgesägte Eisenrohre, eine Art Rahmen aus Fußbodenleisten, ein Marmeladenglas voll fein zerstoßener Glasscherben und Schwerlastwinkel, die mit Konterschrauben zu einem festen Kasten zusammengefügt waren. Langsam machte ich mir eine Vorstellung davon, wie die einzelnen Teile vielleicht zusammengefügt werden könnten, aber es blieb der Verdacht, dass ich da einen Zusammenhang konstruierte, wo keiner war.
    Ich hörte, wie unten die Haustür aufgeschlossen wurde. Es gelang mir noch, die Sachen rechtzeitig in die Schachteln zurück zu legen und an ihre Plätze zu packen. Als ich aber aus dem Zimmer gehen will, steht Richard schon oben im Flur und schaut mich aus der Dunkelheit heraus an. Er fragt mich, was ich da gemacht habe und ich sage: Ich habe überhaupt nichts gemacht, ich war nur kurz in meinem Zimmer.
    Richard hat von diesem Tag an viel Zeit darin investiert, Maßnahmen zur Verriegelung der Zimmertür zu treffen. Vor allem, wenn er aus dem Haus ging, war es ihm ein großes Bedürfnis, seinen Raum gegen mein Eindringen abzusichern. An einem Tag hatte er die Kommode von innen gegen die Tür geschoben, war dann aus dem Fenster geklettert und in den tiefen Schnee im Garten gesprungen. Beim Heimkommen fand er sich dann aber selbst ausgesperrt und ich glaube, er hat mindestens drei Stunden lang mit sich gerungen, vor seiner Zimmertür im ersten Stock, bevor er mich mit zusammengebissenen Zähnen darum bat, ihm beim Aufstemmen zu helfen.
    Danach befestigte er eine Reihe Reißnägel mit Klebeband unter der Türklinke, klemmte manchmal einen Stuhl von außen unter, was in seiner Sinnlosigkeit vielleicht als Warnung oder Abschreckung gemeint war, verließ aber im Wesentlichen einfach viel seltener das Haus und noch viel seltener das Zimmer.
    Er kam nicht mehr runter wenn ich Essen kochte, wartete am Morgen, bis ich aus dem Haus war, und an den Wochenenden kam er grußlos in die Küche, goss sich eine Tasse Kaffee ein und ging damit wieder nach oben ins Zimmer.
    Ich kam nicht mehr dazu, Richard etwas zu erzählen. Eine Zeit lang schrieb ich kleine Briefe ohne Anrede oder Datum, die meistens eine kurze Geschichte enthielten oder eine Auflistung von Dingen, die ich beobachtet hatte und von denen ich dachte, sie müssten ihm gefallen und hinterlegte sie im Haus, auf dem Esstisch, vor seiner Zimmertür, an der Flurgarderobe. Ich fand sie aber jedes Mal unberührt wieder und steckte sie dann häufig als Anzündpapier in den Wohnzimmerofen.
    Einmal sah ich Richard mit einem Bleistift und einem Block durch das Haus gehen und eine Art Inventurliste anfertigen. Er hatte im Keller die Holzscheite gezählt, das konnte ich an seiner großen Handschrift erkennen, als ich von hinten auf den Zettel schaute, und füllte seine Liste in der Küche mit weiteren Positionen, an den Regalen und vorm Kühlschrank. Als ich ihn fragte, was genau er da machte, bekam ich keine Antwort. Auch nicht, als ich anbot, im Ort einkaufen zu gehen, falls seine Zählung ergeben sollte, dass es uns an irgendetwas fehlte.
    Die Spaziergänge durch den Ort, am

Weitere Kostenlose Bücher