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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
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Letteraus Geschäftszeiten und wie dort der Tag vor den Fenstern aussieht, wenn ich meine Arbeit aufnehme, bin mir aber sicher, dass Helbig noch früher anfängt in seiner Werkstatt, und eigentlich ist mir auch vor diesem Überlegen schon klar gewesen, dass ich nicht mehr bis zum Haus meiner Eltern weitergehen würde, sondern hier durch den Garten, die vielen Spuren im Schnee versuchte ich gar nicht mehr auseinander zu halten, zur Tür am Haupthaus, zur Klingel, es dauert gar nicht lange, bis mir geöffnet wird, kein überraschtes Gesicht, ich muss mich nicht erklären, ich hätte auch gar nicht gewusst, wie.
    Helbig lächelt mich an, wobei seine Mundwinkel aber nach unten zeigen. Auch das hat sicherlich etwas zu bedeuten, denke ich.
    Ich gehe ihm hinterher, durch den Eingangsbereich in die Werkstatt, steif und durchgefroren, meine Zähne schlagen laut gegeneinander, in den Gliedern ist ein ständiges Zucken, und meine Füße, das bemerke ich, als ich auf dem festen Boden auftrete, sind vollkommen taub.
    Helbig nimmt gleich die Arbeit an einem großen Möbelstück wieder auf, das zentral in seiner Werkstatt steht und aussieht, als wäre noch sehr viel daran zu tun. Ich bleibe im Eingang stehen. In meinen Wangen und der Stirn beginnt es langsam zu pochen, die Muskeln in meinem Gesicht sind aber noch viel zu taub, um zu sprechen. Aus der geöffneten Ofentür ist diesmal kein orangefarbenes Leuchten zu sehen. Helbig trägt eine Daunenweste bei der Arbeit, er scheint sich durch die Bewegung ausreichend warm zu halten. Die Werkstatt kommt mir insgesamt etwas dunkler vor als bei unserem letzten Besuch. Immerhin, denke ich, ist es ein Raum, in dem ich stehen kann, in Gesellschaft, für eine Weile. Ich verschränke meine Arme vor der Brust, schließe kurz die Augen und höre Helbig beim arbeiten zu. Ich höre, wie er ein Werkzeug zur Seite legt und sagt: Er ist in der Küche, Sie können ruhig reingehen.
    Ich warte so lange es irgendwie geht, bis ich überhaupt auf seine Stimme reagiere. Dann öffne ich meine Augen und nicke in seine Richtung, gehe vorbei am geöffneten Ofen, in dem unter einer dunkelgrauen Ascheschicht rote Glutstreifen wie Adern verlaufen, gehe die Wand entlang bis zur Tür in die Küche, wo ich Richard am Esstisch sitzen sehe mit einer dampfenden Tasse vor sich. Ich rieche heiße Schokolade, Richard lächelt und sieht sehr zufrieden aus, auch etwas belustigt von meinem Anblick im Türrahmen.
    Mein Gesicht war wie verbrannt von der Kälte, die Haut sicherlich leuchtend rot, und auf meinen Schultern, auf der Mütze und in den Falten der Kleidung, hatte ich noch einige Reste des endlosen Winters mit hereingebracht in dieses warme Haus.
    Und ich höre Richard, wie er sagt: Unter denen, die draußen auf dem Feld sitzen, erkennt man die Toten daran, dass der Schnee auf ihnen liegen bleibt.
    Ich schaue über meine Schulter zurück zu Helbig, der wieder so lächelt wie vorhin, mit den heruntergezogenen Mundwinkeln und hoch in die Stirn ragenden Augenbrauen. Ich glaube, er hat auch kurz mit den Schultern gezuckt. Schuldbewusst und gleichzeitig so, als hätte er damit überhaupt nichts zu tun.

Ich schloss die Haustür auf, machte Licht, trat mir den Schnee von den Stiefeln, öffnete die Knöpfe an meinem Wintermantel, zog mir die Mütze vom Kopf und setzte mich auf den Stuhl im Hausflur, um meine Schnürsenkel zu lösen. Meinen Schal und den Mantel hängte ich an den Garderobenhaken auf, dann zog ich mir die Hausschuhe meines Vaters an, es war kalt im Haus, mein Feuer vom Vorabend längst schon erloschen und die Wärme verflogen.
    Im schwachen Licht der Flurlampe ging ich die Stufen hoch in den oberen Stock, dort oben tastete ich nicht nach dem Schalter an der Wand, sondern hörte einfach auf meinen Körper, der sich genau erinnerte, zwei Schritte und ein halber dritter, ich streckte meinen Arm aus und legte die Hand auf die Türklinke zu meinem alten Kinderzimmer.
    Das Deckenlicht hatte noch nie funktioniert, an seiner Stelle ragen drei auseinandergebogene Drähte aus einem Loch. Auf dem kleinen Nachtschrank steht eine Leselampe und in der Ecke neben der Kommode eine schmale Stehleuchte mit Fußtaster. Ich fand mich zurecht.
    Bei ausreichender Beleuchtung begann ich damit, die Pappschachteln einzeln unter dem Bett und aus den Regalen hervorzuziehen. Ich stellte sie nebeneinander in die Mitte des Raumes und nahm dann jeweils die Deckel ab.
    Einzelne Werkstücke nahm ich heraus, um sie mir näher anzuschauen.

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