Das kalte Jahr: Roman (German Edition)
erkennen. Allein davon war ich schon wieder ganz hingerissen und sah uns gleich auch auf dem Heimweg darüber sprechen, wie wir uns das alles vorstellen würden, das Restaurant und den Aussichtspunkt und was wir dafür tun würden, wie wir Helbig zur Hand gehen könnten.
Ich denke, dass wir beide in dem kurzen Moment geglaubt hatten, es handle sich bei diesen flüchtigen Äußerungen um einen Plan, den wir alle gemeinsam verfolgten. Helbig atmete lang aus, um Raum zu schaffen für noch mehr Visionäres, wir waren bereit, uns anstecken zu lassen, im Ofen puffte sich Luft aus einem Einschluss im Holz frei, ich spürte, wie eine große Umarmung im Begriff war, sich um unser kleines Grüppchen zu schließen. Man könnte noch viel hier machen, sagte Helbig, vielleicht nehmen Sie das ja irgendwann mal in die Hand.
Und bevor alles richtig einstürzen konnte, sah ich es schon vor uns auf dem Boden liegen.
Es ist lustig, sagte Helbig, dass Sie heute hierher kommen. Erst gestern habe ich mich fest entschlossen. Ich muss wahrscheinlich noch einiges herrichten. Es gibt wohl nicht besonders viele Leute, die denken wie Sie, also die gerne so leben würden wie ich. Ich habe aber vor einer Weile schon mal mit einem unabhängigen Sachverständigen gesprochen und der hat mir gesagt, im unmittelbaren Vergleich könnten wir für all das hier einen sehr guten Preis erzielen.
Ich bemerkte die dunklen Stellen in den Ecken der Werkstatt und ich glaube, Richard bemerkte sie auch. Er legte den Quast zur Seite und ging wortlos in die Küche. Wir konnten hören, wie dort etwas zerbrochen wurde.
Das Licht vor den Fenstern hatte stark abgenommen, im Glas war schon mehr reflektierter Innenraum als Garten, Helbig schaute verlegen auf den Fußboden und ich fragte ihn, ob er sich das denn gründlich überlegt hätte. Er lächelte mich an und sagte nein, es war eher so enemenemiste.
Vielleicht, fragte er mich in einer Bemühung um Lockerheit, kennen Sie ja einen Interessenten? Aus der Küche hörten wir das Geräusch von festen Tritten gegen einen Geschirrschrank, und ich sagte nein, so jemand ist mir nicht bekannt.
Wahrscheinlich hatte Helbig eine Ahnung davon, dass es jetzt angebracht wäre, unseretwegen ein schlechtes Gewissen zu haben. Er quälte sich ein wenig herum, dann sagte er: Ich habe eben einfach noch keine Wohnung und kein Haus so sehr geliebt wie die Bewegung.
Aber, sagte ich, Sie haben doch ganz lange hier gelebt. Immer schon.
Naja, vielleicht in diesem kleinen Fenster der Zeit, das Sie kennen. Aber mein Leben geht doch schon viel länger als Ihres.
Helbig drehte sich ein Stück von mir ab und schaute in Richtung des Meeres gegen die Wand. Die schwarzgewordenen, staubigen Reste der Spinnweben an der Zimmerdecke wehten sanft im Luftzug der aufsteigenden Wärme.
Richard erschien im Durchgang zur Küche und wir schauten beide auf Helbig wie sein Publikum. Vielleicht auch wie seine Ankläger, oder seine Richter. Etwas in ihm wehrte sich dagegen, ich glaube, er fühlte sich ungerecht behandelt. Er wollte sich nicht verteidigen müssen, aber wir ließen ihm wohl keine Wahl.
Er erzählte uns, er habe vor einer ganzen Weile einmal eine Tierdokumentation im Fernsehen gesehen – und dabei schaute Richard kurz in meine Richtung, als könnte ich verantwortlich gemacht werden für alles, was jetzt kommt – von zwei Meeresbiologen, die den Grund der See abgesucht hatten mit großen Scheinwerfern und Kameras. Ich erinnere mich sehr gut, sagte er, an diese seltsame Pflanze, um die es die meiste Zeit in dem Beitrag ging. Sie sah ein wenig aus wie ein Pilz, mit einer lamellenartigen Kappe und dünnen Tentakeln, die vom Stil aus in Wellenbewegungen durch das Wasser tasteten. Und immer, wenn sich ein Fressfeind der Pflanze nähert, oder wie in diesem Fall zwei Taucher mit Scheinwerfern, das erzählte eine Stimme aus dem Off, während man die Bilder sah, dann gräbt sich diese Pflanze selbst aus dem Boden aus, ungefähr so, Helbig überkreuzte seine Arme vor der Brust, fasste sich mit den Händen an die Schulterblätter und machte kreisende, windende, schüttelnde Bewegungen mit seinem ganzen Körper. Er sah aus wie ein Befreiungskünstler in einer Zwangsjacke oder, das dachte ich im selben Moment, wie die gefesselten Verurteilten am Galgen im Cook County Gefängnis von Chicago.
Und dann schwimmt sie einfach weg, sagte er, sucht sich einen neuen Platz anderswo und gräbt da ihre Wurzeln wieder in den Sand. Seit ich das gesehen habe, denke ich
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