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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
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dachte ich, könnte schon so ein Trick sein von ihm, es mir besonders deutlich vor Augen zu führen, dass ich ohne seine Gesellschaft allein war.
    Ich holte Holz und ein Netz Kartoffeln aus dem Keller, machte ein Feuer im Wohnzimmerofen und ein schlichtes Essen mit tiefgekühltem Fisch. Ich aß allein am großen Esstisch, und als ich damit fertig war, hatte ich wohl ungefähr die Zeit aufgebraucht, die ich früher als gewöhnlich von der Arbeit nach Hause gekommen war. Ich saß eine Zeit lang herum, spülte ab, ließ eine Portion für Richard auf dem Herd stehen. Ich ging im Wohnzimmer herum und sah mir die Bilder an, die meine Mutter gemalt hatte vor vielen Jahren. Sie zeigten hauptsächlich die Landschaft um den Ort. Ein paar Seebilder waren darunter, mit weißer, schaumiger Brandung und Menschen in Badekleidung. Überwiegend hatte sie aber versucht, die Landschaft hinter dem Ort, das Militärgebiet, in allen Jahreszeiten zu erfassen. Das Urwaldhafte an der Gegend hat sie, glaube ich, sehr fasziniert. Die Birkenwälder, wilde Flieder- und Tintenbeersträucher, die offenen Flächen, die Betonplatten der Fahrstraßen, die von Gräsern und Flechten überwuchert wurden, das Steppenhafte, Weite, Ruhige und trotzdem, auf jedem Bild, und ich hätte gern gewusst, ob sie das absichtlich da hineingemalt hat und wenn ja, wie, das Unheimliche darunter, die Mörsergranaten und Sprengsätze, das Bedrohliche, nicht sichtbar, aber mitgedacht, von mir beim Anschauen, von ihr beim Aufmalen, vielleicht auch von der Landschaft selbst, die ja nur auf diese Art, durch das lange Anschauen, befragt werden konnte.
    Ich stand noch eine Weile zwischen den Möbeln und horchte auf Geräusche aus dem oberen Stock. Ich hörte nichts, beschloss mich schlafen zu legen, und nachdem ich den Luftzug am Ofen auf die geringste Stufe gestellt, meine Sachen ausgezogen, das Licht ausgeschaltet, mich auf die Couch unter die Decken gelegt, lang ausgeatmet und die Augen geschlossen hatte, wurde ich endlich ernsthaft und richtig schwer krank.

Abb. 25

Mir wurde zuerst sehr übel, dann überfiel mich ein Schwindel, ich sank immer tiefer in die Polster der Couch, das Haus begann zu rotieren, durch die Fenster spreizten sich Lichtreflexe in den Raum. Ich hörte meine Zähne laut gegeneinanderschlagen, und obwohl es mir so kalt war, dass ich Hände und Füße nicht mehr spüren konnte, brach auf meinem ganzen Körper der Schweiß aus. Ich wälzte mich auf den schmalen Sofapolstern von einer Seite auf die andere, auf keine Art konnte ich länger als zwei Minuten liegenbleiben. Ich hörte mich selbst aufstöhnen mit einer fremd wirkenden Stimme und brachte die Lider meiner Augen nicht mehr richtig auf und doch auch nicht ganz zu. Ich wurde von einem Fieber befallen, das scheinbar seit Wochen und Monaten auf mich, auf diesen schwächsten Moment gewartet hatte, um durchzuschlagen, wurde unheimlich durstig, konnte mich aber gerade einmal halb aufrichten, bevor ich wieder kraftlos zurücksackte in die Kissen. Ich wollte nach Richard rufen, aber es kam nur ein silbenloses Muhen aus meiner Brust. Wahrscheinlich hätte er eh nicht auf mich reagiert. Ein schwerer, bleierner Schmerz breitete sich in meinem Hals und meinen Schultern aus, ich schlug mit meiner tauben Faust gegen die Rückenlehne der Couch und zappelte mit den Beinen, bis ich völlig entkräftet in eine dunkel dröhnende Höhle abtauchte, die sich hinter meinen geschlossenen Augen aufgetan hatte.
    Ich verbrachte wohl einige Tage auf der Couch. Einmal muss Richard doch im Wohnzimmer gewesen sein, denn irgendwann stand eine Karaffe mit Wasser und ein Glas auf dem Wohnzimmertisch. Außerdem brannte das Feuer im Ofen unermüdlich weiter, jemand musste also frische Scheite aufgelegt haben. Ich meine, dass es vor den Fenstern ein paar Mal hell und wieder dunkel geworden ist, aber ich kann mich auf meine Wahrnehmungen aus dieser Zeit nicht verlassen. Bevor ich überhaupt einen vertrauten Gegenstand im Wohnzimmer erkennen konnte als Teil der Außenwelt, die ich bewohnte, als bestimmt vorhandenes Ding außerhalb meines Kopfes, der schwitzigen Haut und den verklebten Haaren, befand ich mich auf einem endlosen Irrgang in verschiedenen unsinnig konstruierten, irgendwie organisch wirkenden Bauten, auf langen Rundtreppen um ein pulsierendes Inneres, das immer wieder rhythmisch und ohrenbetäubend auftoste, wobei sich der Raum neu formierte, neue Treppen und Brücken und Balken wuchsen in dem schwachsinnigen Bau über

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